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Autist*innen – ohne Theory of Mind?
Wir haben Frühling 2025. Trotz Schneeglöckchen und Aufbruchsstimmung ist in mir gerade etwas zerbrochen – durch nur ein Satzfragment: „Theory of Mind nicht vorhanden.”
Ich lasse Ann Memmott, eine Autistin, für mich sprechen. Sie findet die treffenden Worte.
“Viele Jahre lang wurde autistischen Menschen erzählt, dass wir keine Ahnung davon haben, dass andere Menschen wirklich Menschen sind. Dass wir nicht wissen, dass andere ihre eigenen Gedanken und Meinungen haben. Dass wir denken, dass alle anderen um uns herum Objekte irgendeiner Art (…) sind.” Ann Memmott (2012).
Ich schiebe den Bericht meines älteren autistischen Sohnes wieder sorgfältig ins Couvert. Ich denke nach. Aber von vorne nun…
Theory of Mind in a nutshell
Um meine Verzweiflung zu verstehen, möchte ich ganz kurz erklären, um was es sich bei dieser “nicht vorhandenen Theory of Mind “ dreht.
“Theory of Mind (auch als kognitive Perspektivübernahme oder Mentalisieren bezeichnet) beschreibt den Prozess, die mentalen Zustände anderer (z.B. deren Absichten, Erwartungen, Überzeugungen) zu erschliessen und über diese nachzudenken.” Socialnet.de
Es handelt sich dabei also um die Erkenntnis, dass andere Menschen Absichten, Erwartungen, Überzeugungen etc. haben, die ihr Handel beeinflussen, sich aber von den eigenen total unterscheiden können.
Oder in die Praxis übersetzt:
- Er kann sich nicht in die Gedankenwelt anderer hineinversetzen.
- Er hat keine Ahnung, was eine andere Person fühlt, weiss, denkt, motiviert oder was sie als nächstes tun wird.
- Das Erkennen und Verstehen von Gestik, Emotionen, Mimik und Gesichtern ist extrem schwierig für ihn.
- Dass andere einen anderen Wissensstand haben als er selbst, ignoriert er.
- Ironie und Sarkasmus sind für ihn ganz schwierig zu begreifen.
- …
Was soll ich dazu nur sagen!?
Mein Fazit aus dem Bauch heraus: Eine ganz ungünstige Theorie, die zwar erahnt, dass da etwas schwierig für ihn ist und dann halt doch wieder total übers Ziel hinaus schiesst und dabei klare Fakten ignoriert.
Roboter – durch KI bereits mit Theory of Mind
Ja, was plagt mich denn an dieser Theory of Mind so sehr!?
Ganz schlimm finde ich den Punkt, dass man meinem Sohn durch das Fehlen der Theory of Mind folglich unterstellt, dass er nicht weiss, was andere fühlen. Ich habe doch keinen Roboter geboren! Wobei man das heute nicht mehr sagen darf, denn diese werden scheinbar fairer bewertet als Autist*innen. Im Rahmen der KI sollen sich diese nämlich bereits vermehrt an vergangene Situationen erinnern und ihr Verhalten dadurch emotional verändern und somit lernen – für bessere Interaktion. Ihnen spricht man die Theory of Mind neu nicht mehr ab: Robotic Theory of Mind.
Auch wenn ich keine KI bin, so weiss ich um die vielen Kompetenzen meiner Kinder. Sie beweisen mir jeden Tag, dass es eine Autistic Theory of Mind gibt. Denn bei uns zu Hause, mit so viel Erfahrungen miteinander im ähnlichen Kontext, muss ich das Fehlen einer Theory of Mind klar verneinen. Im Gegenteil, mein älterer Sohn nimmt alles hypervigilant und hypersensitiv wahr – jedenfalls mich und meine Stimmung. Er spürt, wenn ich gestresst bin, da vieles parallel auf mich einprasselt – ich beispielsweise gerade die Küche aufgeräumt habe und der kleine Bruder ins Bett soll und er dann durch ein Hungergefühl auch noch mit einem Wunsch kommt. Ja, dieser Seufzer meinerseits wird potenziert registriert. Ich weiss, manchmal müssen Spaghetti auch um 22 Uhr noch sein, auch wenn ich schon mit einem Fuss im Bett “liege”. Was ich aber trotz Müdigkeit und vielleicht leichter Gereiztheit abends immer noch gut hinbekomme, ist, dass ich erzähle, was in mir vorgeht und warum und auch, dass ich das von mir selber nicht so prickelnd finde – diesen Seufzer. Selbstverständlich wäre ich auch um 22 Uhr gerne noch tiefenentspannt.
Bitte nicht falsch verstehen – ich bin von unserem Staubsauger Roboter begeistert, auch wenn unsere Beziehung rein praktischer Natur ist. Wobei – es ist schon mehr. Ein bisschen Liebe ihm gegenüber habe ich auf jeden Fall. Aber ich wiederum lasse ihn gefühlsmässig kalt. Soweit ist seine Robotic Theory of Mind dann doch noch nicht – jedenfalls im Frühling 2025.
Empirische Misserfolge der Behauptung, autistischen Menschen fehle eine Theory of Mind
Der Titel spoilert bereits. Er heisst: Empirische Misserfolge der Behauptung, autistischen Menschen fehle eine Theory of Mind. So ist dem auch. Die Behauptung, autistischen Menschen fehle eine Theory of Mind, ist empirisch widerlegt; sie scheitert an ihrer Spezifität, Universalität, Reproduzierbarkeit, konvergenten Validität und prädiktiven Validität. Und auf die Frage hin, warum gewisse Autist*innen mit den konzipierten Testaufgaben betreffend Theory of Mind gut klar kommen oder eben nicht, zeigt sich zudem: je sprachgewandter, desto besser wird abgeschnitten. (Aber wir wollen ja keine logopädische Abklärung und die Sprachkompetenzen damit festhalten.) All das kann man in der Studie nachlesen:
https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC6959478/
Interessant ist, dass trotz zahlreicher empirischer Mängel diese Behauptung in der Psychologie und weit darüber hinaus sehr verbreitet ist – in der Philosophie, Soziologie, Ökonomie Anthropologie, Robotik, Narratologie, Unterhaltung – und sie ist immer wieder eine Schlagzeile wert (vgl. Morton Ann Gernsbacher, Melanie Yergeau, 2019).
“Wir kommen zu dem Schluss, dass die Behauptung, dass autistische Menschen keine Theory of Mind haben, empirisch fragwürdig und gesellschaftlich schädlich ist.” Morton Ann Gernsbacher, Melanie Yergeau (2019)
Neurotypische Selbstüberschätzung zur Theory of Mind
Tatsächlich musste ich lachen, als ich las, wie gut nicht-autistische Menschen ihre eigene Theory of Mind einschätzen können. Das will ich niemandem vorenthalten:
Zweitens schätzt fast jeder seine eigenen theoretischen Fähigkeiten falsch ein (Ames & Kammrath, 2004; Realo et al., 2003; Zaki, Bolger, & Ochsner, 2008). Zum Beispiel schätzen unwahrscheinliche acht von zehn US-College-Studenten ihre eigene Theory-of-Mind-Fähigkeit als überdurchschnittlich gut ein (im Gegensatz dazu schätzt eine wahrscheinliche Hälfte ihre Fähigkeit, in der Öffentlichkeit zu sprechen, ihr soziales Selbstvertrauen, ihre Computerkenntnisse, ihre körperliche Gesundheit, ihre emotionale Gesundheit, ihre Kreativität und ihre Risikobereitschaft als logischerweise durchschnittlich ein, Higher Education Research Institute, 2017).
Fast alle von uns glauben, darin unschlagbar zu sein – doch auch hier folgt die Realität wohl der Normalverteilung. Und dann trauen wir uns sogar noch die Theory of Mind von Autist*innen zu bewerten!? Und tatsächlich, wir Eltern haben wohl schon alle die Theory of Mind-Fertigkeiten unserer autistischen Kinder einschätzen müssen – auch wenn ich das wirklich nie gesucht habe…
Wenn Eltern ihre autistischen Kinder beurteilen
Genau – auch wenn vermutlich die wenigsten Eltern scharf darauf sind, die Theory of Mind-Fertigkeiten ihrer Kinder diagnostisch zu bewerten, auf diesen einen Punkt möchte ich unbedingt noch eingehen. Er zeigt nämlich wunderschön auf, um was es in der Problematik um die Theory of Mind geht.
“Es gibt sogar Bestrebungen, nicht-autistische Eltern zu bitten, die Theory of Mind ihres autistischen Nachwuchses einzuschätzen, was aus mindestens zwei Gründen problematisch ist. Erstens haben nicht-autistische Menschen, wie Autistenforscher erklärt haben und empirische Daten zeigen, häufig genauso wenig Verständnis für Autisten wie umgekehrt. Damian Milton (2012) bezeichnet dieses Dilemma als das Problem der doppelten Empathie.” Morton Ann Gernsbacher, Melanie Yergeau (2019)
Damian Milton weist also darauf hin, dass auch nicht autistische Menschen ein Theory of Mind Problem haben, wenn es darum geht, die Absichten autistischer Menschen zu erahnen. Er sieht das Problem also vereinfacht in der unterschiedlichen Kultur der Interaktion und würde da gerne Brücken schlagen, ohne sich gegenseitig abzuwerten.
Alternativen zur Theory of Mind – anhand des Grüssens erklärt
Gerne möchte ich kurz aufzeigen, wie unterschiedliche Theorien mit dem Thema der autistischen Interaktion umgehen. Interaktion ist so vielfältig, darum wähle ich kurz und bündig lediglich einen klitzekleinen Teil daraus aus: das Grüssen.
- Theory of Mind – Perspektivenübernahme misslingt
Ganz klar – mit dem Grüssen signalisiert man Interesse oder zumindest Höflichkeit. Wenn jemand Schwierigkeiten hat, sich vorzustellen, wie sich der andere fühlt oder was er erwartet, kann das das Grüssen erschweren oder gar vergessen lassen. Es ist also falsch, inmitten der Stadt alle zu grüssen, aber auch, wenn man an den Nachbarn, die schon Blickkontakt suchen, vorbeischaut.
Kein Wunder also, hat die Autistic Community Mühe mit der Theory of Mind.
“Es ist sehr seltsam, dass nicht autistische Menschen entschieden haben, dass wir keine Menschen sind, obwohl wir es sind.” Ann Memmott (2012)
Gibt es denn wirklich nur eine korrekte Perspektive!?
- Double Empathy Problem – es gibt mindestens zwei korrekte Perspektiven
Nicht-autistische Menschen erwarten oft bestimmte soziale Signale wie zum Beispiel Augenkontakt, ein freundliches Lächeln, eine bestimmte Grussformel etc. Autist*innen haben möglicherweise andere Erwartungen oder empfinden einige dieser Signale als unnötig oder unangenehm, wie beispielsweise Blickkontakt oder körperliche Berührungen wie Händeschütteln o.ä. Dadurch kann es zu Missverständnissen kommen: Neurotypische Menschen interpretieren fehlenden Augenkontakt oder ein ungewohntes Grüssen als unhöflich oder zumindest schräg, obwohl es nicht so gemeint ist. Autist*innen empfinden nicht-autistische Menschen vielleicht genau dadurch als zu penetrant und ihre Grenzen überschreitend.
- Predictive Coding – der immer wechselnde Kontext ist schwierig für Vorhersagen
Während nicht-autistische Menschen oft intuitiv wissen, wann und wie sie jemanden grüssen sollen, fällt es autistischen Personen schwer, diese kontextabhängigen sozialen Regeln zu erfassen. Sie müssen jede Situation einzeln erlernen, was den Lernprozess aufwendiger macht und zu Unsicherheiten in sozialen Interaktionen führt. Es gibt wahnsinnig viele Variationen ähnlicher Situationen. Auf dem Land grüsst man alle, in der Stadt niemanden, ausser man kennt sie. Aber wiederum grüsst man auch nicht unbedingt den Metzger, denn den kennt man zu lose – ausser er sucht den Blickkontakt etc. Das Thema ist eben nicht Theory of Mind, sondern die Prediction of Mind, wie es Peter Vermeulen so schön auf den Punkt bringt (vgl. S. 166). (Kleine Anmerkung: Lassen sich sozialen Gegebenheiten aber durch bewusstes, logisches Denken und allgemeine Regeln vorhersagen, ist es kein Problem für Autist*innen und geht problemlos. Auch das Grüssen hat teils klare Regeln – in der Schule zu Beginn grüsst man.)
- Monotropismus – Aufmerksamkeit auf Interessen gerichtet. Energie damit aufgebraucht
Diese monotrope Wahrnehmung führt dazu, dass autistische Personen ihre Aufmerksamkeit stark auf spezifische, hochinteressante Themen richten. Diese intensive Fokussierung kann dazu führen, dass soziale Hinweise übersehen werden, was die soziale Interaktion erschwert. Das bedeutet, dass man vielleicht gar nicht bemerkt, dass jemand gegrüsst werden möchte. Das kann bei Kindern natürlich auch “entwicklungscharakter” haben, dass diese Regeln lange nicht wahrgenommen werden und etwas später erst überhaupt entdeckt.
Warum die Wahl der Theorie so wichtig ist
Alle Theorien (o.ä.) nehmen wahr, dass das Thema der Interaktion für Autist*innen herausfordernd ist. Dem stimme ich zu. Ich beobachte es auch bei meinen Kindern. Und so sehen es auch Psycholog*innen, Ärzt*innen, Psychiater*innen, schulische Heilpädagog*innen etc. Aber es macht natürlich einen grossen Unterschied, ob man salopp gesagt behauptet, dass mein autistischer Teenager nicht checkt, was in einer anderen Person abgeht oder im Gegensatz dazu keine Anstrengung gescheut wird, seine Art und Weise “sich und die Welt zu sehen” zu verstehen, respektieren und sich letztlich sogar zu bemühen ihm entgegenzukommen. Es ist diese Haltung, dass neurotypisch zu sein eben nicht das A und O ist und dass Neurodivergenz ihren Platz bekommen muss und neben Herausforderungen, die ich nicht schönreden will, auch die Ressourcen nie vergessen gehen dürfen.
- Predictive Coding und Autismus: Sozialisieren nach dem Prinzip, es erst zu glauben, wenn man es sieht. Das ist ab und zu auch ein Vorteil. Verlässlichkeit. Weniger Vorurteile anderen Menschen gegenüber.
- Monotropismus: Fokus auf Interessen und Info-Dumping vom Feinsten. Dieses Teilen von Interessen ist etwas vom Schönsten, wenn es passt.
- Double Empathy Problem: Was man kennt, verbindet. Aber man kann auch respektvoll Neues kennenlernen. Vieles ist korrekt.
Und natürlich versteckt sich hinter unserem Bericht eine feinfühlige und kompetente Fachfrau, die mir sehr zugetan ist und “es matcht” mit meinem Sohn. Das ist sehr, sehr viel und darüber bin ich dankbar. Auch wenn mir der Satz, dass die Theory of Mind nicht erworben ist, einen Stich mitten ins Herz gab, so weiss ich doch, dass diese Sensibilität im Umgang mit Theorien eben erst am Entstehen ist. Ich muss Geduld haben – aber nicht tatenlos bleiben. Ich kann das Gespräch suchen, was ich übrigens gemacht habe, und darf hier schreiben, wie ich es sehe.
Ich bin mir bewusst, dass wir alle lernend sind und zähle mich selbstverständlich auch dazu.
Fazit: Unsere Odyssee mit der neurotypischen Selbstüberschätzung
Meine Verzweiflung hat natürlich Gründe. Schon zu oft wurde mein Kind nicht verstanden, pathologisiert, ausgegrenzt oder einfach ausgeblendet, dass es Mensch ist, wie es Ann Memmott auf den Punkt bringt.
Bei jeder Massnahme für Unterstützung wollen alle Beteiligten diese heiligen Berichte sehen. Genau darum wäre es so wichtig, dass Autismus verstanden wird, sonst löst man mit ihnen einen Domino-Effekt aus – im Verbreiten von Fake News.
Aber – was ich wirklich weitergeben möchte, sind Gedanken, wie diesen zum Beispiel:
„Die Umgebung beeinflusst massgeblich das Gefühl eines Autisten für seine Stärken und Schwächen. (…) Der Unterschied (…) liegt darin, wie die Umgebung gestaltet ist, um seine spezifischen Stärken (…) und Schwächen (…) zu fördern oder zu behindern.“ Paula Moraine (S. 73).
Die Umgebung hat also eine ganz wesentliche Rolle, ob etwas klappt oder nicht. Aber vielleicht braucht es dafür zuerst ein Umdenken oder anders gesagt: Theory of Mind-Kompetenzen. Da sich Neurotypen darin, wie wir ja gelesen haben, für übermässig kompetent halten, ein schwieriges Unterfangen. Ich wünschte mir, sie könnten mit Autist*innen besser interagieren, aber eben:
- Sie können sich nicht in die Gedankenwelt von Autist*innen hineinversetzen.
- Sie haben keine Ahnung, wie Autist*innen fühlen, was sie wissen, denken, motiviert oder was sie als nächstes tun werden.
- Sie erkennen und verstehen die autistische Gestik, Mimik.und Emotionen nicht.
- Dass Autist*innen einen anderen Wissensstand haben als sie selbst, ignorieren sie.
- Ehrlichkeit ist für sie ganz schwierig zu akzeptieren, wie auch kurz angebundene Antworten.
- …
Ich gebe die Hoffnung dennoch nicht auf, denn da sind doch ganz viele Menschen, die Autismus verstehen wollen und auch verstehen. Uns läuft einfach die Zeit davon – die reguläre Schulzeit ist demnächst mit dem 10. Schuljahr gar vorbei und es ist wahnsinnig schwierig eine gute Anschlusslösung zu finden und gleichzeitig mit den Feedbacks klarzukommen:
Zu langsam – zu unruhig – zu abgelenkt – offene Anweisungen falsch interpretiert – kurz angebundene Antworten – ermüdet schnell – undeutliche Aussprache – …
Was nimmt man da als jugendlicher Autist mit? Dass es eh nie klappen wird vielleicht…
Also mit dem Druck runter und etwas suchen, das unter den eigenen Möglichkeiten liegt, um psychisch gesund zu bleiben.
Und es geistern tatsächlich noch 2, 3 gar nicht so schlechte Ideen herum, die dem Rechnung tragen könnten. Ich bin gespannt, besorgt und ich gebe die Hoffnung nie auf.
Literaturliste
“Theory of Mind (auch als kognitive Perspektivübernahme oder Mentalisieren bezeichnet) beschreibt den Prozess, die mentalen Zustände anderer (z.B. deren Absichten, Erwartungen, Überzeugungen) zu erschliessen und über diese nachzudenken.” Socialnet.de
https://www.socialnet.de/lexikon/Theory-of-Mind#:~:text=Theory%20of%20Mind%20
“Wir kommen zu dem Schluss, dass die Behauptung, dass autistische Menschen keine Theory of Mind haben, empirisch fragwürdig und gesellschaftlich schädlich ist.” Morton Ann Gernsbacher, Melanie Yergeau (2019)
“Es gibt sogar Bestrebungen, nicht-autistische Eltern zu bitten, die Theory of Mind ihres autistischen Nachwuchses einzuschätzen, was aus mindestens zwei Gründen problematisch ist. Erstens haben nicht-autistische Menschen, wie Autistenforscher erklärt haben und empirische Daten zeigen, häufig genauso wenig Verständnis für Autisten wie umgekehrt. Damian Milton (2012) bezeichnet dieses Dilemma als das Problem der doppelten Empathie.” Morton Ann Gernsbacher, Melanie Yergeau (2019)
Zweitens schätzt fast jeder seine eigenen theoretischen Fähigkeiten falsch ein (Ames & Kammrath, 2004; Realo et al., 2003; Zaki, Bolger, & Ochsner, 2008). Zum Beispiel schätzen unwahrscheinliche acht von zehn US-College-Studenten ihre eigene Theory-of-Mind-Fähigkeit als überdurchschnittlich gut ein (im Gegensatz dazu schätzt eine wahrscheinliche Hälfte ihre Fähigkeit, in der Öffentlichkeit zu sprechen, ihr soziales Selbstvertrauen, ihre Computerkenntnisse, ihre körperliche Gesundheit, ihre emotionale Gesundheit, ihre Kreativität und ihre Risikobereitschaft als logischerweise durchschnittlich ein, Higher Education Research Institute, 2017).
https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC6959478/
“Viele Jahre lang wurde autistischen Menschen erzählt, dass wir keine Ahnung davon haben, dass andere Menschen wirklich Menschen sind. Dass wir nicht wissen, dass andere ihre eigenen Gedanken und Meinungen haben. Dass wir denken, dass alle anderen um uns herum Objekte irgendeiner Art (…) sind.” Ann Memmott (2012).
“Es ist sehr seltsam, dass nicht autistische Menschen entschieden haben, dass wir keine Menschen sind, obwohl wir es sind.” Ann Memmott (2012)
https://annsautism.blogspot.com/2020/11/autistic-people-and-theory-of-mind.html?m=1
Ein grosses Dankeschön für Ihren Artikel.
“Theory of Mind und Empathie sind zwei Fähigkeiten, die Autisten möglicherweise etwas später erwerben als ihre neurotypischen Altersgenossen, die uns aber nicht fehlen. Im Gegenteil, es ist üblich, dass autistische Menschen übermässig einfühlsam sind und sich von Emotionen überwältigt fühlen. Während einige Autisten ohne Emotion oder Theorie des Geistes erscheinen mögen, liegt das Problem wahrscheinlich entweder in einer Schwierigkeit mit kognitiver Empathie oder in der Fehlinterpretation der Neurotypen um sie herum.” Julie Bouchonville
https://bienetreautiste.myshopify.com/de/blogs/infos/autisme-empathie-et-theorie-de-l-esprit
Das Thema ist eben nicht Theory of Mind, sondern die Prediction of Mind, wie es Peter Vermeulen so schön auf den Punkt bringt (vgl. S. 166).
Vermeulen, P. (2024). Autismus und das prädikative Gehirn. Absolute Denker in einer relativen Welt. Freiburg im Breisgau: Lambertus
„Die Umgebung beeinflusst massgeblich das Gefühl eines Autisten für seine Stärken und Schwächen. (…) Der Unterschied (…) liegt darin, wie die Umgebung gestaltet ist, um seine spezifischen Stärken (…) und Schwächen (…) zu fördern oder zu behindern.“ Paula Moraine (S. 73).
Moraine, P. (2016). Autism and Everyday Executive Function. London: Jessica Kingsley Publishers