Wie Dr. Cynthia La Brie Norall erklärt, was ein Sachendenker ist
“Manche Leute denken vor allem an Menschen, andere an Sachen. Du bist so ein Sachendenker.” Dr. Cynthia La Brie Norall
Du verstehst sehr gut, wie Sachen funktionieren – aber es ist für dich sehr schwierig zu erkennen, wie Menschen funktionieren oder was sie denken.
An Sachen denken
Sachendenker haben oft sehr grosse Interessen für bestimmte Themen. Mein kleiner Sachendenker-Sohn interessiert sich für Maschinen und Fahrzeuge aller Art. Er weiss schon mit 6 Jahren, was ein Zeppelin ist, was die Aufgaben des Müllautos sind, wann auf der Baustelle der Zementmischer kommt, wie eine Stretchlimousine aussieht etc. Mein grosser Sachendenker-Sohn ist bereits 10 Jahre alt. Seine Interessen sind Zahlen, Elemente wie Gallium, Natrium, Stickstoff und er liebt Wissenssendungen wie “Einstein” oder “Galileo”.
Beides sind Sachendenker, weil ihnen diese Art zu denken ganz, ganz leicht fällt.
An Menschen denken
Meine beiden Sachendenker-Kinder brauchen auch Menschen um sich und wollen Freundschaften. Dennoch ist es für sie nicht ganz einfach an Menschen zu denken. Sachen zu durchschauen geht easy. Sachen sind logisch. Bei Menschen muss man oft Gedanken lesen können, um aus ihnen schlau zu werden. “Gedanken lesen” ist der sechste Sinn. Menschendenker können das so, wie sie auch die anderen fünf Sinne beherrschen: Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken. Wie von alleine. Sachendenker müssen den sechsten Sinn “Gedanken zu lesen” aber noch lernen. Und da es so viele verschiedene Situationen gibt, hört das Lernen des sechsten Sinnes auch nie auf. Das macht das Leben manchmal ziemlich kompliziert.
Mein kleiner Sohn versteht zum Beispiel erst jetzt langsam, wie man andere Kinder fragen muss, wenn man mit deren Spielzeug spielen will – dass man dieses nicht einfach wegnehmen darf. Dafür braucht es eine grosse Portion “Gedankenlesen”. Mein grosser Sohn hat einige dieser Gedankenlese-Regeln wie “Grüezi sagen”, Gesundheit wünschen, sich bedanken, sich entschuldigen, etc. nun gelernt. Aber wirklich gut findet er diese Regeln erfunden von Menschendenkern nicht. Dennoch macht es sein Leben bedeutend einfacher, wenn er diese Regeln beherrscht. (Nur dankbar sein reicht z.B. nicht. Menschendenker wollen das auch gesagt bekommen, damit es gilt.)
Miteinander
Wichtig ist, dass Menschendenker und Sachendenker miteinander spielen, sprechen und ‚er-leben‘. Es ist beides total richtig, ob man nun mehr an Menschen oder an Sachen denkt. Nicht zuletzt tut das allen ziemlich gut, wenn es nicht nur eine Art die Welt zu sehen gibt. Findest du nicht auch?
Literaturliste
Gray, C. (2013). Der sechste Sinn. Ein Unterrichtsplan zum Thema Autismus. St. Gallen: Autismusverlag.
La Brie Norall, C., Wagner Brust, B. (2012). Kinder mit Asperger einfühlsam erziehen. Stuttgart: Trias Verlag.