Merry Christmas – unsere neurodiversen Weihnachten 

„Advent ist, wenn Kinderaugen

wieder zu strahlen beginnen

und wir uns anstecken lassen

von der Vorfreude auf Weihnachten.“ Gudrun Kropp

 

Und genau das bedeutet für mich Weihnachten. Ich will mich anstecken lassen von dieser kindlichen Freude. Dann ist Weihnachten gelungen. Aber wie schaffe ich das bloss mit zwei Kinder im Autismus-Spektrum? 

 

Adventskalender

Es ist das erste Jahr, in welchem mein 8-jähriger Sohn sich für Zahlen begeistert. Und so suchte ich alte Socken zusammen, nähte diese an ein breites helles Band und liess ihn mit schwarzer Stoffmalfarbe die Zahlen von 1 – 24 schreiben. Nein, ich zweifle nie an seinen Fähigkeiten, sehe aber die Schwierigkeit, wenn das Interesse noch fehlt. Und dieses wurde durch die 1. Klasse und/oder autodidaktisch geweckt. Zahlen sind nun ein wichtiger Bestandteil seines Lebens. Und wie das bei Kindern im Autismus-Spektrum oftmals  der Fall ist – so zählt er nun nicht nur bis 20. Zählen hört nie mehr auf. Es gibt Millionen, Milliarden, Billionen, Billiarden, Trillionen, Trilliarden – Unendlichkeit. 

Der Wunsch, dass auch dieses Jahr ein Adventskalender zum Füllen her muss, kam aber von meinem 12-jährigen Sohn, der sich keineswegs zu alt dafür fühlt. Für ihn war sogleich klar, dass ich jeweils kurz vorher erst die betreffende Socke füllen darf. Warum? Er meinte, er bekomme sonst Gedankenzwänge. Und sind wir ehrlich, wer von uns hätte nicht mindestens die anderen gefüllten Socken mal vorher schon befühlt nach Inhalt oder mehr? Natürlich kann ich das nicht 1:1 vergleichen mit einer autistischen Hyperwahrnehmung – aber es lässt erahnen, was es bedeutet, wenn dasselbe Gefühl noch um einiges intensiver ist.

Das Geschenk des Himmels buchstäblich war aber, dass es genau am 1. Dezember richtig stark schneite, was stimmungsvoller nicht hätte sein können.

 

Samichlaus – Briefe und Unboxing

Da endlich beide Kinder lesen können, schrieb ihnen der Samichlaus am 6. Dezember einen Brief. Für mich war dies sehr besonders und rührte mich auch. Allerdings blieb der Fokus meines jüngeren Sohnes trotzdem mehr auf den Erdnüssen, Lebkuchen und Clementinen. 

Das Highlight meines älteren Sohnes war jedoch ein Unboxing des Chlaussackes inklusive Schneeball auf Tiktok. Die Samichlausfeier geht also für einmal ganz neue Wege.  

 

Die Wunschzettel

Advent ist ja die Zeit, in der Kinder Spielzeugkataloge studieren und akribisch planen, wie sich Ihre Wünsche vielleicht umsetzen lassen. Ich finde das nicht falsch, aber solche Kinder habe ich nicht. Interessen sind nicht an ein Datum geknüpft und es überfordert, wenn es das sein muss. Schenken ist generell ein hoch soziales und emotionales Phänomen. Es wird erwartet, dass  man Wünsche hat und mitteilt. Die Wünsche sollten sich in einem adäquaten Budget befinden. Auch Dankbarkeit ist ein grosses Thema. Überraschungen sind zudem etwas, das schlecht ausgehalten werden kann und Stress macht. Und letztlich muss man auch noch damit umgehen können, wenn Wünsche möglicherweise doch nicht erfüllt werden.

 

„Ich will einen Van.“ 

 

Es gab darum Zeiten, da zeigte ich die Geschenke vor dem Einpacken, liess sie das Kind selber in ein Geschenkpapier wickeln oder packte die Wünsche gar nicht erst ein. Hatte jemand Zeit, durfte vor allem mein jüngerer Sohn mit der Tante oder Grossmutter mit dem Bus  in die Stadt, Rolltreppen fahren und sich in der Spielwarenabteilung etwas aussuchen. Auch gab es einen Teil schon mal vor der Bescherung – ganz ohne Tamtam. Flexibilität wurde/wird also (auch) von den Schenkenden gefordert.

 

Weihnachtsbasteleien 

Ich staune, wie gewisse Kinder Massenproduktionen starten und voller Hingabe für die ganze Verwandtschaft kreativ werden. Auch das kenne ich so nicht. Doch dieses Jahr – inspiriert durch Covid 19 – machten wir Seifen aus Seifenknete. Das motivierte und es hat reichlich für alle. Allerdings kann Kunst ein Teil seiner selbst sein, den man nicht weggeben mag dadurch. Das geschieht bei meinen älteren Sohn regelmässig. Aus diesem Grund lagert er selbst gebastelte Geschenke seit der ersten Klasse in seinem Zimmer und man hofft, es sind keine verderblichen Lebensmittel dabei. Und so darf auch die besondere Seife, die wie ein Spiegelei aussieht, nicht verschenkt werden. Mein jüngerer Sohn löste das anders und er schrieb auf die gebastelte Kerze in der Ergo gleich auf den Anhänger:

 

„Für Manuel von Manuel.“ (Name geändert) 

 

Weihnachten und Geschenke 

Die strengsten Weihnachten waren es, als mein älterer Sohn mit 1 ½ Jahren nach einer Operation mit resultierenden Infekt genau an dem Tag vom Spital nach Hause durfte. Wir mussten allerdings weiterhin alle 8h für eine Infusion Antibiotika antraben. Es hatte einfach keine Isolierzimmer mehr frei und man sammelte dadurch alle Kinder, die aus irgendwelchen Gründen erbrechen mussten im selben Zimmer. Der Chirurg war uns dankbar für diesen Vorschlag. Denn noch ein Magen-Darm-Infekt hätte doch sehr geschwächt und man wusste noch nicht, ob ein erneuter Eingriff nötig sein wird. 

Jedenfalls planten wir wunderbare Weihnachten mit Turkey, Christbaum und Co und es war einfach nur noch wahnsinnig anstrengend mit krankem Kind und Infusion im Fuss etc. Aber wir lernten dazu. Von da war uns eingeimpft: 

 

„Weniger ist mehr.“

 

Es geht ja nicht darum, dass Weihnachten für alle ein Stress werden soll. Diese Art der Perfektion hat einen zu hohen Preis. Kinderaugen sollen leuchten. Mehr nicht. Und für  meine autistischen Kinder heisst das, dass Weihnachten nicht (zu sehr) überfordern darf.

Beide Kinder mögen es nicht, wenn wir singen – also wirklich ’stille Nacht‘. Beide Kinder lieben den Christbaum. Beide Kinder mögen Käsefondue. Beide Kinder packen zwei oder drei Geschenke aus und verschwinden damit im Zimmer. Dem Rest der Geschenke widmen sie sich verteilt über die Weihnachtsferien. Das heisst natürlich auch, dass man nicht gleich rückmelden kann, wie das Geschenk ankam und vielleicht  erklären muss, dass es gar noch nicht ausgepackt ist.

 

Festtage und Silvester

Begeistert ein Geschenk und trifft die Interessen, dann kehrt Ruhe ein. Ein Besuchsmarathon darf diese Zeit aber nicht werden. So auch der Silvester einfach mit den üblichen Ritualen – Tischbombe und Vulkan. Dass wir in den letzten Jahren immer Vulkane geniessen dürfen, liegt daran, dass die Sommer aufgrund des Klimawandels oft zu trocken für Feuerwerk am 1. August sind und letzten Sommer machte uns Covid 19 einen Strich durch die Rechnung. 

Mein älterer Sohn und ich haben noch ein weiteres Ritual. Wir wollen den Jahreswechsel miterleben. Eigentlich würde auch ich dann gerne ins neue Jahr schlummern, aber ich verstehe, dass ihm dies sehr wichtig ist. Und hätten wir letztes Jahr geahnt, was in Wuhan bereits gestartet hat? Und diesmal, wie wohl die kommende Oberstufe uns aufnehmen und begleiten wird? Es ist nicht ohne, so ein Jahreswechsel.

 

Weihnachtsbaum abbauen

Weihnachten verlassen, das ist Schmerz und den Weihnachtsbaum zu entschmücken darum Stress. Es ist in dem Moment wohl kein Trost, wenn wir erinnern, dass Weihnachten wieder kommt. Aber vielleicht ist dies einfacher zu ertragen, wenn der Baum langsam nadelt und der Abbau still und leise vor sich geht. Und schliesslich muss auf den 6. Januar hin ja schon wieder gebacken werden. Die Kekse werden abgelöst durch die drei Könige und dem legendären Königskuchen…

 

https://www.swissmilk.ch/de/rezepte-kochideen/rezepte/LM200712_20/dreikoenigskuchen/

 

Literaturliste 

 

Zitat Gudrun Kropp

https://www.aphorismen.de/suche?f_autor=4889_Gudrun+Kropp&f_zeit=heute&f_thema=Advent

 

Seifenknete

https://www.jako-o.com/de_CH/seifenknete–037359#&gid=1&pid=1

 

Königskuchen

https://www.swissmilk.ch/de/rezepte-kochideen/rezepte/LM200712_20/dreikoenigskuchen/

 

35 Tipps für entspannte Weihnachten mit autistischen Kindern

https://autismus-kultur.de/autismus/weihnachten.html

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