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Teil 1 – Lotto spielen
Ja, auch das haben wir versucht. Es würde alle unsere Sorgen minimieren, denn dann könnten wir gar eine eigene Schule eröffnen. Aber vermutlich hat mein 12-jähriger Sohn mit Asperger Syndrom, um den es sich bei dieser Frage ja dreht, recht.
„Lotto und Euromillions machen euch nur ärmer, weil man statistisch gesehen ziemlich sicher nicht gewinnt.“
Aber manchmal muss man einfach träumen – gerade als Eltern autistischer Kinder.
I have a dream
Ich habe nämlich einen Traum. Ich träume von Inklusion! Ich trauere nicht (mehr) der Idee einer 08 15 Familie nach. Ich bin traurig, wie wir alle mit Vielfalt umgehen. Die UN Behindertenrechtskonvention ist mit der Forderung eines inklusiven Bildungssystems auf allen Ebenen ja sehr direkt. Aber in der Schweiz hat man scheinbar viele Gründe, warum das nicht geht. Und natürlich würde ich mir wünschen, dass ein privilegiertes Land mit vielen Möglichkeiten nicht einfach darüber hinweg schaut und am dualen Bildungssystem festhält. Wie soll ich mir das nur erklären? Ist es Bequemlichkeit, Fantasielosigkeit, fehlt die Kreativität und Flexibilität? Was bloss??? Zu neutral gar 😉 ?
Das aktuelle Schulhaus Team hat Bedenken
Ich schätze das Schulhaus Team sehr. Lehrpersonen und schulische Heilpädagogen machen eine gelingende Integration möglich. Das geht nicht mit links – das ist Arbeit. Ihre Haltung stimmt. Vielfalt darf sein und noch mehr, sie wird geschätzt. Ich ahne aber, dass wir immer an besonders fähige Individuen geraten sind und das keine Selbstverständlichkeit ist. Darum nehme ich ihre Bedenken betreffend Integration in der Oberstufe auch sehr Ernst. Unser Sohn hat ab und zu Meltdowns in der Klasse, die aber gut aufgefangen werden – auch von den Kindern der Klasse, die verstehen und sich in die vorgelebte Haltung einfügen. Es sagt aber schon etwas aus, wie die Oberstufe gelebt wird, dass sie einstimmig kein gutes Gefühl beim Gedanken an eine Integration haben. Vermutlich betrifft es auch das Alter der Kinder und die Angst vor Mobbing. Nein, davor habe ich auch Angst. Diese Bedenken treffen also einen Nerv. Eine Privatschule mit kleinen Klassen und vielleicht gar weiteren Autist*innen wäre ihre Idee. Diese Idee tönt gut.
– Kleinklasse
– Integration in Regelklasse
+ Privatschule
Der schulpsychologische Dienst empfiehlt
Der schulpsychologische Dienst, so vermute ich, ist nicht glücklich über das klare Statement des Schulhaus Teams. Nach dem Austausch mit einer Heilpädagogin, wird uns eine auf Autismus spezialisierte Sonderschule empfohlen. Alles, was mit Autismus zu tun hat, wird dort mit Bravour unterstützt und Lösungen gefunden. Da sind die Spezialisten. Spezialisten und nie mehr Ärger? Das gilt es sich zu überlegen.
– Kleinklasse
+ Sonderschule
+ Privatschule
So zeigt sich die Schulpflegepräsidentin
Wir hatten noch nie direkt mit der Schulpflege zu tun. Bis jetzt fand ich die teils revolutionären Ideen der Präsidentin für eine gute soziale Durchmischung der Schüler*innen trotz viel Gegenwind nur mutig und schlichtweg toll. Aber was Privatschulen anbelangt, ist sie zurückhaltend. Klar, hier geht es auch um viel Geld.
+ Kleinklasse
+ Sonderschule
+ Integration Regelschule
– Privatschule
Statement der Sonderschule
Die Schulleitung der Sonderschule hat keine Erfahrung mit hochbegabten autistischen Kindern. Im Gegenteil, in jeder Klasse hat es mehrere schwerstbehinderte Kinder. Klar, würden sie es mit unserem Kind hinbekommen, da hier die Autismusspezialist*innen arbeiten, aber ob das die Lösung ist? Die Schulleitung fragt sich, warum nicht weiterhin in der Regelschule integriert wird oder dann eine Kleinklasse.
– Sonderschule
+ Kleinklasse
+ Integration Regelschule
Fazit – es muss was Neues her
Nachdem ich – alle Statements auswertend – tatsächlich kurz verzweifelte, mussten Lösungen her.
Es ist mir klar, dass die Sonderschule nicht passend ist, auch wenn genau im fiktiven Roman „Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“ exakt dieses Szenario beschrieben wird. Ich will aber nicht, dass er ein nicht passender Überflieger ist. Allerdings gefällt mir die Autismuskompetenz der Sonderschule sehr. Von überall her höre ich diesbezüglich nur Gutes. Warum also nicht mit der Regelschule oder Privatschule zusammenarbeiten und beraten? Also eine Kooperation in Gang setzen? Die Regelschule braucht zum Gelingen sowieso mehr Ressourcen in unserer Situation. Auch Privatschulen würden sicher froh sein um Unterstützung.
Wie mir scheint, so sind alle überfordert mit kognitiv starken Autist*innen, die dennoch einen hohen Förderbedarf haben und durch ersteres in der Sonderschule, die letzteres zwar bietet, am falschen Platz sind. Passt das wiederum mit der geforderten Leistung, so sind sie durch ihre andere Art der Wahrnehmung der Welt dennoch auf Unterstützung angewiesen.
Glück haben – es ist Lotterie
Klappt das mit dem Lottogewinn, so würde ich eine Schule eröffnen für neurodiverse Kinder, die allesamt Ähnliches brauchen. ASD, ADHS, high sensitive, Hochbegabung, Dyslexie, Dyskalkulie sind ja nicht krank – es handelt sich jeweils um ein anderes Gehirn. Alle aber denken und fühlen zu viel. Darum ticken diese Kinder anders. Sie haben schulisch also andere Bedürfnisse. Diesem Gedanken würde ich gerne nachgehen.
„If a child can’t learn the way we teach, maybe we should teach the way they learn.“ Ignacio Estrada
Ich frage mich auch, wie viele solche Kinder bereits in einer Regelklasse sind und wie viele Kinder nur gerettet werden, weil das eine Lehrkraft oder Heilpädagog*in erkennt und die Umgebung anpasst, was ja ein sehr inklusives Gedankengut wiederum ist.
Man muss also aktuell noch Glück haben. Hat man Glück mit der Schule und Inklusion wird gelebt, wie wir das nun sechs Jahre lang erlebt haben, dann braucht man auch keinen Lottogewinn.
Glück haben als Strategie also? Oder Eltern autistischer Kinder dauernd für ihr Glück kämpfen lassen? Was ist mit den Kindern, für die niemand kämpft?
Teil 2 – Vergessene Optionen
Ich glaube, es ging allen so wie mir. Der Fall „Oberstufe gesucht“ musste nochmals neu aufgerollt und vergessene Optionen geprüft werden.
Kleinklasse
Vor ein paar Tagen waren mein Mann und ich die Kleinklasse begutachten. Obschon wir uns von diversen Einzelpersonen anhören mussten, dass sie sehr skeptisch bezüglich dieser Schule seien, waren wir offen und gerne bereit, uns vom Gegenteil überzeugen zu lassen.
Ich verfiel tatsächlich dem Mythos, dass es in einer Kleinklasse von männlichen Jugendlichen mit oppositionellem Verhalten wimmelt, und dass man die separiert haben will.
Was ich aber sah, war eine ziemlich ausgeglichene Gruppe – keineswegs ausschliesslich männliche Jugendliche.
In den Klassenzimmern nahm ich ein optimales Arbeitsklima wahr – alle konzentriert bei der Sache.
Der Schulleiter erzählte uns, dass hier sowohl die Jugendlichen mit ADHS als auch AS Reizreduktion und Struktur bekommen.
Was mir zudem sehr gefällt – jeder Jugendliche hat seine schulischen Ziele, ob das nun eine Fremdsprache weniger ist oder gar die Mittelschule in Aussicht: individualisiert und differenziert. So wäre auch ich gerne durch die Schulzeit.
Ich darf die Sorge der Separation wohl beiseite legen, denn so sieht die Schule der Zukunft aus! Das hingegen sollte eine politische Aufforderung sein, denn leider gibt es eine solch fortschrittliche Schule erst im Kleinen, weil Inklusion keine neuen Probleme schafft, aber aufdeckt, was in der Regelschule falsch läuft.
Dessen ungeachtet – ich muss keine Schule für neurodiverse Kinder/Jugendliche gründen – da ist sie.
Einen Strich durch die Rechnung!?
Wir konnten sofort ja zur Kleinklasse sagen, was bedeutet, dass unser Kind schnuppern darf bei allfälligen freien Plätzen, um sich somit selber ein Bild zu machen. Und leider macht Corona aktuell vielen Jugendlichen einen Strich durch die Rechnung. Ohne in einem Betrieb schnuppern zu können und eine Lehrstelle zu finden dadurch, hängt so manche*r nochmals ein Jahr an. Das hat zur Folge, dass Plätze rar sind und man einen Plan b und c und d … haben muss. Laut unserer Schulpsychologin müssen wir also damit rechnen, dass es mit der Kleinklasse nicht klappen könnte.
Aber wären das nicht auch Corona Massnahmen, wenn genau darauf reagiert würde und mehr Plätze geschaffen?!
Wir warten und hoffen ✊ .
Fortsetzung folgt.
Literaturliste
Noch ein Weiter Weg in der Schweiz bis zur inklusiven Schule
Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone von Mark Haddon
Den Übergang in die Oberstufe planen
https://reachoutasc.com/what-makes-transition-work-for-asc-pupils/
Ich habe einen schüler der Katzen liebt
Tja, wir suchen (2023) auch eine Oberstufe für unseren Sohn…und ehrlich gesagt, ich kann das geschriebene nur bestätigen! Genau so fühlen wir uns auch! Inklusive der Sehnsucht nach dem Lottogewinn : ) Es hat sich also noch nichts geändert. Man fühlt sich einfach nur Machtlos. Und ich Frage mich; wenn es keine Lösung gibt, der den Fachpersonen genehm ist…bleibt er zu Hause, muss ich Homeschooling mit ihm machen wie zur Corona-Zeit? Ich habe einen Sohn mit einer „leichten Asperger-Diagnose“ , aber alle fühlen sich mit ihm überfordert. Nicht die Kinder…
Liebe Marion,
es tut mir weh zu lesen, was Ihr durchmacht. Dass immer wieder dieselbe Story stattfinden muss und für unsere Kinder einfach keine oder nicht genug passenden Schulplätze geschaffen werden, das kann doch nicht sein! Ich hoffe, Ihr habt letztlich auch soviel Glück wie wir. Wir bekamen nach langem Bangen und ohne Plan B schliesslich den letzten freien Platz in einer Kleinklassen-Oberstufe mit vielen Jugendlichen mit ADHS oder Autismus etc. Das war unsere Rettung schliesslich, denn die Schule ist einfach nur perfekt. Ich drücken euch die Daumen für einen richtig guten Schulplatz für euren Sohn. Alles Gute – Sachendenkerin