Nach der Theorie des prädikativen Gehirns (Predictive Coding).

Ein grosser Fehler beim Vermitteln sozialer Kompetenzen
Mein autistischer Teenager erzählte mir vor kurzem, dass an der Bushaltestelle oft Menschen neben ihm warten und ihn manchmal auch grüssen. Gestern sogar auf dem Weg zu Fuss zur Schule. Er wisse dann nie so genau, wie er reagieren soll, und erwidere daher einfach nichts. Dieses Feedback bekam ich auch schon von meiner Nachbarin, die mir erzählte, sie habe meinen Sohn an der Bushaltestelle getroffen, er habe sie aber nicht beachtet. (…) Damals liess ich es einfach so stehen – sowohl bei der Nachbarin als auch bei ihm. Ich bin mir auch nicht sicher, ob er sie erkannt hat, denn sie und ihre Freundin schräg vis-à-vis ähneln sich und er kann sie ausserhalb nicht unterscheiden. Aber nun, wo er seine Unsicherheit gar formulierte, wollte ich ihn gerne unterstützen, und zwar möglichst unkompliziert. So empfahl ich ihm, er solle doch einfach mit dem Kopf nicken oder ein kurzes Hallo erwidern und dann wieder wegschauen, so führt das auch nicht zu – für ihn – unangenehmen Smalltalk. Dann ist die ganze Sache schon erledigt.
Natürlich hatte ich total Unrecht mit meiner – wenn auch gut gemeinten – Idee von einer Patentlösung für ein komplexes Thema, wie es das Grüssen ist. Und noch schlimmer, denselben Fehler begehe nicht nur ich als Mutter – auch Fachleute gelegentlich, die Autist*innen ein Sozialkompetenztraining anbieten.
Unser beider Fehler: Wir vergessen oftmals, die Kontext-Taste zu drücken.
Dafür muss ich aber ein bisschen ausholen…
‘Das glaube ich erst, wenn ich es sehe’
Seit ich in Peter Vermeulens Buch “Autismus und das prädikative Gehirn” lese, macht autistisches Verhalten für mich plötzlich Sinn. Nicht, dass ich nicht schon jeher davon ausging, dass Verhalten nie grundlos ist, aber langsam beginne ich zu verstehen, was dahinter stecken könnte. Das ist der grosse Unterschied.
Meinem jüngeren Sohn kann ich sehr wohl erklären, dass wenn er auf unserem neuen Induktionsherd Milch erwärmt, er daneben stehen muss, da die Milch rasch überkocht. Spätestens dann, wenn er sie ansteigen sieht, muss er mit der Temperatur runter oder die Milch in die Tasse kippen – je nach Projekt halt. Ein deterministischer Output also, der von Autist*innen sehr gut vorhergesagt werden kann, denn geschlossen Systeme sind genau ihr Ding (vgl. S. 131).
Menschen aber, die agieren nicht so wie mein Induktionsherd, sie sind als offenes System mehrdeutig – laut Peter Vermeulen sogar die unberechenbarsten Stimuli auf diesem Planeten (vgl. S. 129). Darum ist mein Tipp, dass man mit einem Kopfnicker oder Hallo grüssen soll, auch nicht korrekt – kommt es doch sehr auf den Kontext an oder wie Peter Vermeulen es nennt: man muss betreffend sozialen Situationen immer die Kontext-Taste drücken.
“Wenn wir das Verhalten einer Person vorhersagen, stützen wir unsere Einschätzung auf zwei Quellen: das Verhalten, das wir zuvor bei der Person gesehen haben. Das Verhalten, das wir im entsprechenden Kontext erwarten, indem dieses Verhalten gezeigt wurde.” Peter Vermeulen (S. 140)
Zwei wunderbare Anhaltspunkte also, die zeigen, wie neurotypische Menschen Interaktionen intuitiv angehen. Bei Autist*innen sieht das aber eher folgendermassen aus:
“Bei der Einschätzung dessen, was andere Menschen tun werden, ist es fast so, als ob das autistische Gehirn das Prinzip ‘das glaube ich erst, wenn ich es sehe’ anwendet. (…) Ein autistisches Gehirn scheint sensorischen Informationen grösseres Gewicht beizumessen als seinen eigenen Modellen und Erwartungen.” Peter Vermeulen (S. 141)
Dies ist ein furchtbar schlechte Strategie des autistischen Gehirns, um mit der Komplexität der Menschen zurecht zu kommen und das fängt bereits bei der Frage an, wo, wie, wann, wieso und bei wem alles zu grüssen gefordert wird, um nicht in ein Fettnäpfchen zu treten. Und ausserhalb der Schule gar nicht zu grüssen, ist vielleicht nicht die allerbeste Strategie meines Teenagers, obschon sie zwar manchmal dem Kontext entspricht – aber halt nicht immer. Und eines muss man sich bewusst sein: neurotypische Menschen bewerten andauernd und sind auch rasch konsterniert.
Der Kontext beim Grüssen
Grüssen ist weit mehr als Händeschütteln, Zunicken oder ein Hallo zurufen! Das muss man sich erst einmal bewusst werden.
Wir wohnen am Stadtrand und da grüssen sich die erwachsenen Leute noch, aber schon bei den Kindern und Jugendlichen ist das nicht mehr so eindeutig. Manchmal ja – manchmal nein. Einerseits sagt man ja den Kindergartenkindern auch zu ihrem Schutz, sie sollen nicht mit Fremden sprechen. Und die Jugendlichen morgens mit Kopfhörern bewaffnet und Blick starr auf den Boden und eindeutig viel zu wenig Schlaf, die scheinen sich oftmals gar nicht um die Gepflogenheit des Grüssens zu scheren, ähnlich wie die etwas entferntere Nachbarin, die in regelmässigen Abständen ein Tief hat und ebenfalls wegschaut und genervt schnaubt, kann in guten Phasen durchaus auch Blickkontakt aufnehmen und offen für ein freundliches Hallo sein. An der Bushaltestelle wiederum, grüsst man da nun oder nicht? Sind Leute, die man schier täglich zur selben Zeit sieht, bereits Bekannte oder noch Fremde? Jedenfalls schon nach 10 Minuten Busfahrt, da grüsst hier niemand mehr, es sei denn, man kennt sich. In der Schule und beim Schnuppern wiederum, da wird man bewertet, ob man grüsst oder nicht in der Kategorie Sozialkompetenz. Dann gibt es auch immer noch die schüchternen Kinder oder Jugendlichen, die eine Kontaktaufnahme durch ein Hallo einfach nicht hinkriegen und wiederum diese, die schier jeden grüssen und dadurch näher kommen wollen und am liebsten ein Gespräch starten möchten, zumindest dann, wenn man sie aus Versehen ein wenig zu lange angeschaut hat etc.
Diese ganze Komplexität zeigt auf, dass ein autistisches Gehirn mit einer Patentlösung, die ich zuerst angeboten habe, nirgends hin kommt. Eine Grundidee des Grüssens darf zwar sein, aber danach geht es um die Variationen mit der Kontext-Taste und erst richtig los. Eine wichtige Erkenntnis, wenn man autistische Kinder und/oder Jugendliche unterstützen möchte.
Absolute Denker in einer relativen Welt
Zugegeben, soziale Kompetenzen sind nicht ganz einfach zu erwerben. Menschen sind eben keine Induktionsherde, sondern strotzen vor Unberechenbarkeit.
„Je mehr der Kontext bei der Vorhersage menschlichen Verhaltens eine Rolle spielt, desto schwieriger wird es für Menschen mit Autismus, dieses Verhalten angemessen vorherzusagen.” Peter Vermeulen (S. 133)
Nach der Theorie des prädikativen Gehirns schneidet das autistische Gehirn weniger gut ab, wenn es sich um schnelle, unbewusste und kontextabhängige Vorhersagen dreht.
Lassen sich sozialen Gegebenheiten aber durch bewusstes, logisches Denken und allgemeine Regeln vorhersagen, sind Autist*innen genauso gut wie nicht autistische Menschen. Ich empfinde mein autistisches Umfeld vielleicht auch gerade darum als sehr ethisch – ich denke dabei an Veganismus, Pazifismus, Tierrechte, faires Einkaufen, die Sache mit dem generischen Maskulin, das die Hälfte aller Menschen auslässt etc. Daraus schliesse ich, dass Autist*innen und somit auch meine Kinder kein Sozialkompetenztraining brauchen, um sozial zu werden. Das sind sie nämlich bereits. Und um auf die umstrittene Theory of Mind zurückzukommen – sie müssen genau darum auch nicht in ein TOM-Training ***, denn sie sind bereits rücksichtsvoll und mitfühlend – das Thema ist ein anderes, nämlich die Prediction of Mind, wie es Peter Vermeulen so schön auf den Punkt bringt (vgl. S. 166). Und diesbezüglich kann man auf jeden Fall unterstützen, gerade darum, weil Autist*innen absolute Denker in einer relativen Welt sind.
*** = Ich nehme an, es gibt auch sehr gutes TOM-Training, das genau das miteinbezieht, eben, wie das autistische Gehirn prädikativ arbeitet. Man muss sich aber bewusst sein, dass begabte Autist*innen auch in anspruchsvollen Tests zur TOM hervorragend abschneiden – klar, wenn Tests auf explizite und bewusste Prozesse im Gehirn abzielen. Das autistische Gehirn schneidet ja vor allem weniger gut ab, wenn es sich um schnelle, unbewusste und kontextabhängige Vorhersagen dreht (vgl. S. 136). Darum würde es mir besser gefallen, wenn es POM-Training heissen würde und die Vorhersagefähigkeit im Fokus stünde. Die Theory of Mind ist in der Autist*innen Community nämlich zu Recht höchst umstritten, da sie die Idee vom nicht empathischen autistischen Gehirn schürt.
Ähnlichkeiten in den Variationen erkennen
“Das Gehirn bittet die Sinne nicht um neue Informationen oder Inputs, sondern will eine Rückmeldung zu den Informationen, die es bereits über die Welt hat.” Peter Vermeulen (S. 37)
Somit fordert das Gehirn also ein Feedback, ob die Erwartungen übereinstimmen und tut es das nicht, passt es diese an. Mit der Zeit wird das Modell über die Welt immer differenzierter – so auch betreffend sozialen Situationen. Kleine Vorhersagefehler sind somit eigentlich keine mehr – sie werden als Variation erkannt und in ein grosses Ganzes integriert. Das läuft alles intuitiv ab.
Das autistische Gehirn passt diese kleinen Vorhersagefehler aber nicht an. Kleine soziale Abweichungen im Verhalten anderer sind und bleiben für das autistische Gehirn nach der Predictive Coding Theory Vorhersagefehler, denen Bedeutung zugesprochen wird. Autist*innen gehen also absolut mit für uns Unwichtigem um. Dadurch ist für sie jede soziale Situation neu und unbekannt und ziemlich herausfordernd und verunsichern. Für neurotypische Menschen sind empathische Modelle aber relativ und kontextsensitiv. Und in diese Richtung soll es gehen – es lohnt sich also, das Gewicht auf die Variation in Kontexten zu legen, auf die man häufig trifft (vgl. S. 160). Natürlich muss nun bewusst kompensiert werden, was neurotypische Menschen einfach so intuitiv hinlegen.
Man kann also eine Grundsituation aufgreifen und von da aus quasi Variationen sammeln, um die Ähnlichkeit sichtbar zu machen. Dafür steige ich nicht gleich mit unserem Teenager ein, sondern erinnere mich, wie das bei unserem Jüngsten vor langer Zeit der Fall war.
- Mein 11-jähriger Sohn
Mein jüngerer Sohn grüsste als Kleinkind nicht. Ich nahm das gelassen und übernahm es für ihn. Scheinbar führte ich so nach und nach das Modell ein, dass man grüsst. Und irgendwann grüsste er alle und jeden und erweiterte das mit der Zeit, indem er sich noch vorstellte: hallo – ich bin XXX . Das war tatsächlich einen Tick unangenehmer als ein Kind, das gar nicht grüsst. Aber ich fühlte innerlich, dass das nun wichtig war und liess ihn gewähren. Irgendwie stimmte es ja auch, denn hier in unserer Aussenwacht grüssen sich fast alle, auch wenn wir uns selbstverständlich nicht jedes mal noch gegenseitig vorstellen 😉 . In der Schule waren es dann aber deutlich zu viele Menschen, als dass man das noch hätte durchziehen können. Ob er es versucht hat, weiss ich nicht. Jedenfalls beobachte ich nun, dass er schaut, wie sich die andern verhalten und dieses nachahmt. Da sein älterer Bruder sehr zurückhaltend betreffend Kontaktaufnahme ist, ist er dies aktuell auch wieder einen Tick mehr. Er hält sich nun an das Modell, dass man eher nicht grüsst und wenn doch, dann Lehrpersonen, Schulbusfahrer*innen (seinen Lieblingsfahrer gar mit einem high five) oder Verwandte, aber, dass man immer zurück grüsst (ohne sich vorzustellen).
“Viele Wiederholungen und Klärungen sind nötig, bis ein autistisches Gehirn anfängt, gewisse Ähnlichkeiten in den Variationen zu erkennen, sodass es auch (mehr oder weniger gut) vorhersagen kann, was passieren wird. Statt zu versuchen, Menschen mit Autismus neue Fertigkeiten beizubringen, sollten wir ihnen mehr Zeit geben, um zu lernen, wie sie menschliche Verhaltensmuster und deren häufigste Variationen in einem für sie relevanten Kontext erkennen können.” Peter Vermeulen (S. 165)
Tatsächlich hat sich sein empathisches Modell in den letzten 11 Jahren stark verändert und kommt mit immer mehr Variationen im relevanten Kontext klar.
- Mein 16-jähriger Sohn
Mitbestimmung ist für meinen Teenager extrem wichtig. Darum nehmen wir es zu Hause ganz cool betreffend des Grüssens und Verabschiedens und er darf diesbezüglich seine eigenen Regeln aufstellen. Das macht er mit Inbrunst und will, dass dieses Geplänkel weggelassen wird, da er nachher noch bis zum Gehtnichtmehr socializen muss. Tatsächlich ist die Welt ausserhalb seines Safe Space sehr komplex, aber ich vermute, dass das Thema des Zurückgrüssens auch einfach Angst ist, dass dies jemand ‘aus-nutzt’ und ein Gespräch mit ihm anfangen will – ein grosses Thema. Zum Beispiel wurde ihm von einer Erwachsenen Person letzthin an der Bushaltestelle nach einem Hallo eine Zigarette angeboten, was ihn sehr verwirrte. So geht es nicht nur darum, einzelne Reaktionen vorherzusagen – auch verschiedene Interaktionen (S. 141). Und genau dafür braucht das autistische Gehirn einfach viel, viel mehr Zeit und Wiederholung.
1. Wie grüsst du die Lehrpersonen in der Schule?
Im Gang die Hand schütteln.
2. Wie beim Schnuppern?
Weiss ich nicht mehr. Oder doch, der, der schon da arbeitete, übernahm die Initiative jeweils und streckte als erstes die Hand aus.
Eigentlich waren es anfänglich 10 Fragen, die ich ihm zum Thema des Grüssens stellen wollte, aber nach zwei Fragen verwies er mich auf morgen dann und das wiederholend.
3. Wirst du von Menschen auf dem Schulweg gegrüsst? Wie reagierst du?
4. Wen grüsst du?
5. Findest du etwas am Grüssen unangenehm? Was?
6. Warum ist es besser, wenn ich vor der Schule nicht ‘tschüss’ sage?
7. “Autisten müssen einen Menschen länger (als neurotypische Menschen) beobachten und sich Gedanken über ihn machen, bis sie checken, wie der so tickt.“ Was denkst du über dieses Zitat?
8. Glaubst du, das folgende Zitat stimmt? Warum? “Sprechen und Zuhören – also ein Gespräch – ist dann mühsam, wenn man nicht weiss, was der andere genau will.”
9. Was ist für dich ein Gespräch, das Freude macht?
10. Was habe ich vergessen zu fragen? Ist dir etwas, das Thema ”Grüssen” betreffend, sehr wichtig, das ich auch noch wissen muss?
Wie man die Kontext-Taste drückt
Autist*innen sind empathisch – keine Frage. Das autistische Gehirn hat aber ein empathisches Modell entwickelt, das absolut und nicht relativ und kontextsensitiv ist. Gerade die soziale Welt ist aber unberechenbar: eben relativ und kontextsensitiv. Darum ist es extrem wichtig, dass den Kontext bedingten Variationen des Sozialverhaltens Beachtung geschenkt wird. Denn Autist*innen brauchen mehr Informationen, bevor sie das Verhalten anderer vorhersagen können, insbesondere in sozialen Kontexten (vgl. Peter Vermeulen, S. 140).
“Regeln sind nicht absolut, sie sind abhängig von der Situation und Person.” Temple Grandin
- Personen:
- Situation:
- Kontext verdeutlichen
- Kontext wiederholt erkunden
- Entdecken lassen, was in dem Kontext relevant ist und was nicht
Letztlich dreht es sich also darum, dass wir gemeinsam Dinge verdeutlichen, die autistische Kinder und Jugendliche spontan alleine nicht erkennen können.
Aber bitte nicht falsch verstehen: Es soll ihnen nicht vorgeschrieben werden, wie sie sich verhalten müssen – es muss in erster Linie der Kontext verdeutlicht werden, damit sie überhaupt eine Chance bekommen, durchzublicken, um was es geht.
Situation, Personen: Ich (also mein jüngerer Sohn) musste weinen, weil die knapp erwachsene Tochter der Nachbarn nicht auf mein Hallo reagiert hat, obwohl ich es dreimal und immer lauter versucht habe.
1. Kontext verdeutlichen: Die Nachbarstochter ist auf dem Weg zur Arbeit und sichtlich schlecht gelaunt. Vielleicht stinkt ihr die Arbeit. Ich treffe sie auf dem Weg zum Schulbus und will es richtig machen und grüsse sie. 3x und sogar noch etwas lauter. Sie sagt nichts und ignoriert mich. Ich muss weinen.
2. Kontext wiederholt erkunden: Mami grüsst die Nachbarstochter auch nicht mehr, weil diese demonstrativ auf den Boden oder entgegengesetzte Richtung starrt. Das heisst, dass sie keine Lust dazu hat.
3. Entdecken lassen, was in dem Kontext relevant ist und was nicht: Es tut einem weh, wenn man nicht zurück gegrüsst wird. Sie macht das vielleicht, weil sie keine gute Laune hat morgens und Kinder eh doof findet. Sie findet auch Mami ziemlich doof, seit diese sie gebeten hat, nicht mit dem Schlauch Richtung Kinderwagen – mit einem schlafenden Baby drin – zu spritzen. Mami sagt, dass man Menschen, die nicht zurück grüssen, das nächste Mal auch nicht mehr grüssen muss.
Es ist nicht schwierig, nett zu sein
Natürlich ist es wunderbar, wenn wir unsere autistischen Kinder und Jugendlichen im Alltag unterstützen, indem wir die Kontext-Taste drücken und darin Variationen anbieten. Es gibt aber noch einen Bereich, der ganz alleine uns betrifft und unsere Flexibilität fordert:
“Wir können die sozialen Kompetenzen von Menschen mit Autismus unterstützen, wenn wir unser eigenes Verhalten vorhersehbar machen, um damit ihre geringeren Fähigkeiten zur Vorhersage menschlichen Verhaltens auszugleichen.” Peter Vermeulen (S. 168)
Dafür praktiziere ich schon lange einen Tipp bei meinen Kindern, der im Umgang mit autistische. Kindern und Jugendlichen mit Pathological Demand Avoidance – Profil empfohlen wird: laut denken.
So kleine Selbstgespräche geben Einblick in das Innerste eines Menschen. Dadurch wird es zu einem Gesprächsstil voller Transparenz und ohne Druck und, wenn man ihn nicht übertreibt und gleichzeitig Empathie zeigt, eine ganz natürliche und angenehme Sache.
“Hml? Bin ich denn nun schon am Ende dieses Artikels angekommen oder braucht es gar noch ein Schlusswort? Ich glaube, ich bin tatsächlich fertig – oh nein, mein Teenager hat ja die Fragen 3-10 noch nicht beantwortet. Das ist okay so und ich bin auch nicht enttäuscht, sondern dankbar. Schliesslich gibt die Antwort 2 Einblick, was er übers Begrüssen und seine Variationen bereits am Verinnerlichen ist. Ich glaube, an einem Schnuppertag, wo alle Abläufe neu sind und man niemanden kennt, darf man interessiert abwarten, bis man empfangen wird und zur Begrüssung aufgefordert – gerade als Autist…”
Inklusion hilft uns, unsere empathischen Modelle anzupassen, was das neurotypische Gehirn ja intuitiv kann – ganz nach der Theorie des prädikativen Gehirns.
Es ist nicht schwierig, nett zu sein.
Literaturliste
Vermeulen, P. (2024). Autismus und das prädikative Gehirn. Absolute Denker in einer relativen Welt. Freiburg im Breisgau: Lambertus
a)
“Menschen mit Autismus brauchen mehr Informationen, bevor sie das Verhalten anderer vorhersagen können, insbesondere in sozialen Kontexten.” Peter Vermeulen (S. 140)
“Autisten müssen einen Menschen länger als neurotypische Menschen beobachten und sich Gedanken über ihn machen, bis sie checken, wie der so tickt.“
b)
“Sprechen und Zuhören funktionieren nur, wenn man vorausahnen kann, was kommt.” Peter Vermeulen (S. 168).
“Sprechen und Zuhören – also ein Gespräch – ist dann mühsam, wenn man nicht weiss, was der andere genau will.”
Rule #1: Rules are Not Absolute. They are Situation-based and People-based
https://portal.learningally.org/Book-Details/BookID/JJ543
Bluesky und X und Blogs und Studien etc. zum Thema:
“Das Grüssen hat mir immer etwas Schwierigkeiten bereitet, da ich nicht genau wusste wann und wie und auch nicht gerne laut spreche (was aufgrund der Entfernung notwendig ist). Irgendwann habe ich festgestellt dass mich die Nachbarn nicht mehr grüssen. Darüber war ich froh, in der Annahme das auch nicht mehr tun zu müssen. (…) Nun hatte ich in einer anderen Angelegenheit mit den Nachbarn zu tun und habe erfahren dass sie über mich verärgert waren. Offenbar sind sie von einer Abneigung meinerseits ausgegangen, weil ich nicht mehr gegrüsst hatte.” Helios
https://selbsthilfeforum.aspies.de/forum/index.php?thread/10466-wie-bzw-wann-gr%C3%BCssen/
Wenn ich Menschen zufällig irgendwo treffe, ist das immer sehr bizarr. Erstens erkenne ich sie nicht, zweitens konnte ich mich nicht mental darauf vorbereiten, ergo hab ich keine passenden Sätze vorbereitet, drittens bin ich von spontanen Situationen eh komplett überfordert…
https://bsky.app/profile/loupi.bsky.social/post/3kydfnmdcuy2w
“Autistic People are bad at socializing.”
NO! Let’s reframe that:
“Autistic People socialize in an Autistic way.”
That’s better!
“Ich habe „Schwierigkeiten“, mich ‘an verschiedene soziale Kontexte anzupassen’. Die Menschen sind immer seltener bereit, sich zu ändern, um mir entgegenzukommen.” Lyric
Interpersonal predictive coding, not action perception, is impaired in autism
https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rstb.2015.0373
Sue Fletcher-Watson (@SueReviews) hat an 0:06 PM on Di., Feb. 12, 2019 gepostet:
Chapter 8 reports on information processing theories of autism including weak central coherence theory, Bayesian (predictive coding) models and monotropism. https://t.co/BRn6aoNdXE
(https://x.com/SueReviews/status/1095277841820860417?t=70pQjFpe7pcyaAN58Meujw&s=03)