Pathological Demand Avoidance – oder warum ich zweimal nacheinander Löffeleier koche 

Pathological = krankhaft, Demand = Forderung, Avoidance = Vermeidung.

Zwei Löffeleier – aus der Feder meines jüngeren Sohnes. (Danke )

 

Rätselraten 

 

Was passiert vielleicht, wenn man: 

 

a) … ein autistisches Kind mit PDA-Profil fragt, ob man eines seiner Bonbons bekommen könne? 

b) … eine Autistin mit PDA-Profil fragt, ob sie lieber Tee oder Kaffee will?

 

Antwort zu a): ………………………………

 

Antwort zu b): ………………………………

 

 Auflösung folgt ⬇️ .

 

PDA in a Nutshell

 

“Gibst du mir eines deiner Bonbons?”

“Nein. Ich gebe dir zwei.”

 

“Willst du Kaffee oder doch lieber Tee?” 

“Gerne eine heisse Schokolade.”

 

Sally Cat zitiert Riko Ryuki`s Blog (S. 329)

 

Diese beiden Beispiele gelten natürlich überhaupt nicht universell. Menschen sind verschieden. Ich empfinde sie dennoch als sehr liebenswert und eindrücklich zugleich. Sie zeigen, welchen hohen Stellenwert Autonomie hat – und bei steigendem Druck wird diese noch wichtiger. 

 

Wie sieht PDA im Alltag aus?

Und selbstverständlich betrifft das Pathological Demand Avoidance Syndrom nicht nur Bonbons und Schokomilch – auch wenn diese beiden Begebenheiten sicher einen gewissen Symbolcharakter haben.

 

Das Pathological Demand Avoidance Syndrom kann schier alles betreffen, da das Leben Interaktion ist. Um genau diese geht es auch, denn es ist nicht im eigentlichen Sinne die Tätigkeit selbst, die diese Abwehrhaltung hervorruft, sondern die Gegebenheit, dass sie von jemandem gefordert wird (vgl. Sarah Weber).

 

Ein Klassiker: Wenn ich meinen Teenager zum Aufräumen auffordere, dann kommt oftmals: “Ja gleich.” Ich weiss natürlich, was das bedeutet – einerseits findet er wohl, dass ich nicht das Recht habe auf den von mir gewählten zu erledigenden Zeitpunkt zu beharren, andererseits erhofft er sich vermutlich bewusst oder unbewusst mit ‘später’ der Kontrolle zu entkommen und somit den Freipass zu erhalten, es quasi vergessen zu dürfen oder auch nicht. Dieser geforderte zeitliche Freiraum nimmt möglicherweise die Angst, dass ich ihn steuere und seine Autonomie untergrabe. Es sind aber nicht nur Befehle, die Angst und somit Stress auslösen. Das Pathological Demand Avoidance Syndrom kann auch viel subtiler sein. Rufe ich meinem Teenager beispielsweise ein Tschüss zu, wenn er das Haus verlässt, erwarte ich vielleicht, dass er dasselbe tut. Und prompt bin ich schon wieder in die Falle getappt mit meinem erwartenden Blick in seine Richtung. (Ja, sogar ein Blick kann ausreichen.) Es fühlt sich je nach Stresslevel des Kindes bestimmt wie ein Befehl an und spätestens jetzt haben wir die ersten Turbulenzen des Tages. Oder wenn sich mein jüngerer Sohn sehnsüchtig ein bestimmtes neues Game für seinen Switch wünscht und es dann am Samstag mit Papi nicht schafft das Game Geschäft auch nur zu betreten, obschon der lange erwartete Moment doch jetzt da ist, aber gleichzeitig auch viele Erwartungen mitschwingen wie z.B. beschenkt zu werden und beobachtet, was das für Gefühle auslöst. Vielleicht bringt ihn sogar seine eigene Freude selbst unter Druck, die fordert, dass er nun lachend in das Geschäft Richtung Game stürmt. Wie auch immer, nun braucht er Hilfe, nämlich draussen warten zu dürfen und Papi übernimmt. Dasselbe anders bei meinem Teenager, der eigentlich nichts lieber will, als mit Papi Mechabellum zu gamen, aber durch seine Perfektion sich selbst so viel Stress bereitet, dass er sich dem nicht zu stellen vermag. Es kann aber noch difficiler kommen. Wenn gar Grundbedürfnisse durch das Pathological Demand Avoidance Syndrom bedroht werden, macht es Eltern sehr hilflos. Sogar ein gut spürbares Hungergefühl kann bei einem vielleicht schon bestehenden hohen Stresslevel plötzlich als Druck und innere Aufforderung empfunden werden und es wird aus Angst nicht mehr gegessen. Was für eine Erfahrung! Zum Glück klappte es bei Amanda Diekmans Sohn dann immer mit seinem Safefood ‘Brezeln und Nutella’  (vgl. S. 19).

 

6 Fragen und Antworten zu PDA 

 

1. Was läuft da bloss ab? 

“PDA children find it intolerable to follow commands, whether these come from an outside source or themselves.” Sally Cat zitiert Riko Ryuki`s Blog (S. 326)

 

2. Warum?

“PDA children feel a need for control in order to reduce their anxiety. They think that if they can control everything and everyone in their environment then they won`t feel anxiety from unexpected events.” Sally Cat zitiert Riko Ryuki`s Blog (S. 327)

 

3. Sind autistische Kinder mit PDA-Profil also sozial manipulativ?

Nein. Man kann PDA als Strategie verstehen, die hilft, Sicherheit und Vorhersehbarkeit herzustellen, um zunehmende Angst zu mildern (vgl. Stuart, L., Grahame, V., Honey, E. & Freeston, M.). Noch ist nicht ganz klar, ob es sich bei PDA um eine Impulskontrollstörung oder einen Zwang dreht (vgl. Inge Kamp-Becker, Ulrich Schu und Sanna Stroth).

 

4. Und wenn diese Strategie scheitert?

“If these strategies do not work and their anxiety continues to rise, the fight, flight or freeze response is triggered and can result in behavior such as opposition, resistance, defiance, arguing or aggression.” Raelene Dundon (S. 13)

 

5. Was ist mit den Kindern mit PDA-Profil und einem weniger explosiven Charakter?

„Verschwinden unter dem Radar: Kinder mit einem weniger explosiven Charakter erscheinen toleranter und finden Wege, sich in die Lernumgebung einzufügen. Sie spielen dann die Rolle des angepassten Kindes, schalten aber vom aktuellen Lernen ab und bekommen nicht genug mit. Sie sind dann fleissig im ‘nichts Hinkriegen’.” Phil Christie (Auszug aus: ”Understanding Pathological Demand Avoidance Syndrome in Children“)

 

6. Ist Pathological Demand Avoidance also eine faire Bezeichnung für dieses Syndrom?

Wenn es sich um das eigene Kind dreht, wird man – respektive ich – sehr empfindlich. Vielleicht wäre „Pervasive Drive for Autonomy“ (geprägt von Tomlin Wilding) eine leichter anzunehmende Bezeichnung für PDA, da es gleich aufzeigt, um welches Bedürfnis es sich hier dreht. Es sind keine Kinder, die uns manipulieren wollen – es handelt sich um ein Angst getriebenes Bedürfnis nach Autonomie und Kontrolle.

 

Was heisst das nun für Eltern?

Ein autistisches Kind mit PDA-Profil zu erziehen, ist eine Herausforderung, so lieb wir das Kind auch haben – oder gerade darum. Es bedingt nämlich viel Arbeit an uns selbst, da diese Kinder nicht auf konventionelle Erziehungstechniken ansprechen. Natürlich gibt es Menschen, die die Bedürfnisse der Kinder spüren und intuitiv alles richtig machen. Viele Menschen verharren aber im alt Bekannten und müssen einen Umgang mit PDA erst lernen. Das ist nicht immer sehr bequem. Aber wer es einfach will, so Inke Hummel, sollte ‘mit Familie‘ gar nicht erst anfangen.

 

Schon autistische Kinder betreffend muss anders begleitet werden – u.a. mit übersichtlicher Strukturierung des Lebens. Bei autistischen Kindern mit ausgeprägtem PDA-Profil ist das gleich nochmals etwas ganz Neues. Darum ist es auch so wichtig, sich einmal mit PDA auseinandergesetzt zu haben, denn man muss genau dieses Thema der sich bei Autismus bewährten Strukturierung mithilfe von Regeln, Ritualen, Plänen, Timetimer,  Routine etc. nochmals völlig neu denken und sehr, sehr flexibel werden. Kinder mit Autismus plus PDA brauchen natürlich auch eine verlässliche und vertrauensvolle Umgebung, erleben und fühlen Sicherheit aber vor allem durch Autonomie, Freiheit, Selbstkontrolle, Mitspracherecht, Gleichberechtigung, Spontanität etc. Erst so gelingt es ihnen, alltägliche Anforderungen angstfrei zu bewältigen. 

 

„Like a child who has experienced complex trauma, PDAers have a hair-trigger nervous system. They explode without warning to the ordinary demands of everyday life.” Amanda Diekman (S. 16)

 

Es geht also darum, dass wir als Eltern zwar die Verantwortung tragen, aber dem Kind doch das Gefühl von möglichst viel Freiraum vermitteln, damit kein Druck und somit Stress/Panik aufkommt und die Amygdala Alarm schlägt.

 

Setzen wir Grenzen knallhart durch, wie es so manche vielleicht von uns – als Patentlösung für alles – fordern, kann sich ‘alles’ hochschaukeln und zu einem nie endenden Desaster werden, gerade, wenn dann auf pädagogisches Fehlverhalten hin mit noch mehr Strenge reagiert wird. Und das, obschon wir alle (spätestens seit Ross W. Greene) wissen, dass es Kinder gut machen wollen, wenn sie es nur können. Was wie ein Machtkampf aussieht, ist bei PDA keiner, sondern Angst, die gar in einem Überlebensmodus des Gehirns gipfeln kann. 

 

“PDA is a neurobiological condition that wires with an extreme and pervasive need for autonomy and control. Any perceived threats to that freedom produce a panic-driven anxiety reaction. PDAers will fight, flee, faint, or fawn as if their lives literally depend on it.” Amanda Diekman (S. 15)

 

Dem Kind einerseits Sicherheit bieten und gleichzeitig Selbstbestimmung in hohem Masse zugestehen, hört sich im ersten Moment nach einem Widerspruch an… Sie sind doch noch nicht erwachsen und brauchen uns! Aber genau hier wird es spannend. Sie brauchen uns nämlich tatsächlich – aber anders als gewohnt. Lassen wir uns also auf dieses Abenteuer ein.

 

12 Life Hacks 

 

1. Wo sind überall Forderungen versteckt? 

“There’s the demand itself on the surface, then underneath the demand is the expectation, or the positive thing that you hope the child will do, and then under that is the adult’s need, hope, or desire.” Amanda Diekman (S. 35)

 

  • Forderung: “Hör’ sofort auf den kleinen Bruder zu piesacken!“
  • Erwartung: Gerade wenn man älter ist, plagt man keine Jüngeren. Man bleibt fair, auch wenn sie nerven.
  • Bedürfnis: Auch Eltern sind am Abend müde und wollen ihre Ruhe und sich von einem anstrengenden Tag erholen – und keine Streitereien.

 

Oder wie es Amanda Diekman nennt: “We are demand-factories.” Unsere Forderungen, Erwartungen und Bedürfnisse lauern immer und überall in unterschiedlichen Verkleidungen quasi, mal offensichtlich, dann wiederum sehr subtil. Auch wenn wir Eltern diese nicht immer ad hoc bei uns entlarven – unsere PDA Kinder werden es. Für sie sind das nämlich alles Gefahren! Und darum gibt uns Amanda Diekman die Erlaubnis, nicht auf andere zu hören, die uns erzählen wollen, unsere Kinder seien berechnend, ungehorsam und testen uns nur und, um es auf die Spitze zu treiben, es sei sogar unsere Schuld, weil das Kind doch mehr Routinen und Grenzen brauche etc. (vgl. Amanda Diekman S. 36). Es geistert so viel bedrohliches Halbwissen herum. Wir müssen nämlich erkennen lernen, wo überall Forderungen lauern und somit Stress (Gefahr!) auslösen und diesen möglichst klein halten – man nennt dies auch “Low-Demand Parenting”.

 

2. Wie entschärft man gestellte Anforderungen im Moment

Die Entscheidung, sich in “Low-Demand Parenting” zu üben, ist der Start zur Besserung. Nein, wir müssen als Eltern nicht perfekt sein, aber wir sollten nach und nach ein Gespür dafür entwickeln, wenn wir – ohne es zu wollen – schon wieder zur Demand-factory geworden sind. Wenn wir also merken, dass unsere Forderung unser Kind gerade wahnsinnig stresst, haben wir immer noch die Möglichkeit diese im Moment zu entschärfen. Manchmal gelingt es – manchmal nicht. Amanda Diekman gibt einige Beispiele, die verdeutlichen sollen, wie das geht (vgl. S. 45). Bekommen wir ein klares und vielleicht lautstarkes Nein auf unsere Forderung/Befehl/Bitte/Wunsch o.ä., hilft erstmals ein verständnisvolles OK. Auch kann die Erwartung, dass etwas sofort erfolgen muss, viel Stress auslösen. Dann empfiehlt es sich, diese Arbeit rasch selbst zu übernehmen. Manchmal hilft auch das Angebot, die Sache zusammen zu erledigen und Druck ist raus. Zudem lässt sie ihr Kind, wenn die Anforderungen der Umwelt gerade Überhand nehmen, an einem ruhigen Ort lesen und sich so kurz vor jeder Interaktion zurückziehen. Darum empfiehlt es sich, ein Buch immer griffbereit zu haben. Oder anders gesagt, was für die einen ein Buch ist, ist für andere vielleicht kurz das Handy der Mutter oder an die frische Luft oder Fidget Toys oder …

 

Auch erinnere ich mich an ein Beispiel, bei dem Entschärfung in der Regel dazu führt, dass es im Nu klappt. Sollte mein jüngerer Sohn seine Vitamintabletten nehmen, die sich eigentlich wie leckere Bonbons anfühlen, braucht er manchmal Stunden dafür. Wenn ich dann aber irgendwann wartend erschöpft finde, dass wir das heute gut sein lassen können, geht’s plötzlich. Ich muss dazu anmerken, dass ich das noch nie berechnend ausgenutzt habe und immer authentisch war. Vielleicht war das mein Erfolgsrezept – zumindest in diesem speziellen Fall.

 

3. Hausregeln zum Umgang miteinander 

Auch in einem Low-Demand Haushalt braucht es Strukturen. Amanda Diekmans Hausregeln (vgl. S. 68) begeistern mich – sie sind so wohlwollend.

 

  • “We do not force or pressure one another. No means no, always. Your body, your choice.”
  • “We give Space when someone needs it.”
  • “We can eat anything, anytime, anywhere. We listen to our bodies.”
  • “We can choose when to use our screens without shame or limits.”
  • “We are all always learning. When you`re curious, uncertain or need help, just ask.”
  • “We`re doing our best, all on our own. We don`t use punishments or rewards because we don`t think they work.”

 

Vielleicht sind das nicht alles Regeln, die auch für die eigene Familie stimmig sind, aber sie geben einen Einblick, wie diese aussehen könnten und ermutigen bestimmt, eigene zu kreieren. Gleichzeitig zeigt es auf, dass ein Umdenken mit viel Flexibilität seitens Eltern gefordert wird. 

 

4. Verstehen versus alles persönlich nehmen

Autistische Kinder mit PDA-Profil rutschen rasch in den Flucht- oder Kampfmodus. Aussagen wie “hau ab”, “ich hasse dich”, “ich töte dich” (…) sind Hilfeschreie eines Kindes in der Entwicklung und bedeuten übersetzt, dass gerade alles zuviel ist und die Selbstregulierung flöten geht. 

 

“We all do it well when we can, and when we can’t we give each other grace.” Amanda Diekman (im Anhang ihres Buches)

 

Im grössten Stress kann das Gehirn nicht lernen – es hat lediglich als Ziel, dass wir überleben. Das Lernen darf also getrost auf später verschoben werden. Aber vielleicht weiss das Gehirn im Ruhezustand ja bereits, dass man solch krasse Aussagen nicht macht – das mit der Selbstregulierung ist als autistisches Kind oder autistische*r Jugendliche*r bestimmt auch sehr, sehr anspruchsvoll. 

Am Kampfmodus finde ich übrigens, so anstrengend dieser auch ist, nicht alles einfach nur schlecht – auch gesund durch die klare Sichtbarkeit, dass nun definitiv etwas falsch gelaufen ist. Die Fawn Response (Anpassung, um das Gegenüber zu besänftigen) scheint für mich als Mutter wohl die krasseste Reaktion des urzeitlichen Gehirns zu sein, um quasi zu überleben. Wobei ich dabei nicht an meine Kinder denke, sondern vor allem an Frauen, die vielleicht als Kind genau diese Strategie wählten, sofern es sich überhaupt um eine Wahl handelte, denn der Neocortex ist ja ausser Gefecht gesetzt. Ich habe viel lieber, ich werde beispielsweise als “dumme Kuh” bezeichnet, als dass mein Kind anscheinend “sozial akzeptiert” leidet.

 

5. Das “choice board” als Rettung nach dem Meltdown

Meltdowns machen alle hilflos. Darum bin ich immer wachsam, wenn jemand gute Erfahrungen mit einer Hilfestellung macht. Während eines Meltdowns geht es ja in erster Linie um die Sicherheit aller Beteiligten und um möglichst keine weiteren Reize, die das Kind noch mehr verunsichern und plagen – wie auch Gespräche. Aber just danach hat Amanda Diekman in ihrer Familie das “choice board” eingeführt. Ihr Sohn konnte nämlich nach so viel Stress nicht mehr kommunizieren und es halfen ihm laminierte Vorschläge in Bildform zur Beruhigung. Er musste also nicht verbal kommunizieren – einfach eines auswählen. So konnte man ihn angepasst in der gewünschten Art zur Selbstregulierung ein wenig unterstützen:

 

“(…) wrestling dad, snuggling mom, being alone, watching his tablet, eating crunchy snacks.” Amanda Diekman (S. 20)

 

6. Auf das aktuelle Toleranzlevel des Kindes eingehen – auf die Sprache achten 

Als Eltern autistischer Kinder sollten wir stets wachsam sein, damit wir die Zukunft positiv beeinflussen können. Eliza Fricker ist es darum wichtig, dass wir auf das aktuelle Toleranzlevel unseres Kindes achten. Manchmal liegt nämlich mehr Aufforderung drin und manchmal weniger. Je gestresster unser Kind ist, desto flexibler müssen wir werden, damit es nicht Richtung Panik steuert.

 

“Parenting techniques include framing demands so as to give the child the appearance of control while the parent actually maintains control and the demand is met.” Sally Cat zitiert Riko Ryuki`s Blog (S. 327) 

 

  • Hohes Toleranzlevel: “Bitte putze deine Zähne.”
  • Mittleres Toleranzlevel: “Deine Zahnbürste ist aufgeladen.”
  • Tiefes Toleranzlevel: “Ich werde deine Zahnbürste parat legen.” (Eliza Fricker S. 17)

 

Manchmal hilft es auch, Anforderungen zu depersonalisieren. Man legt vielleicht einfach die Zahnbürste, Zahnpasta und den Becher gut sichtbar parat

 – ohne dies zu kommentieren. 

 

7. Nonverbale Sprache – die stillen Trigger

Autistische Kinder mit PDA-Profil haben einerseits oft Mühe, Gefühle anderer richtig zu interpretieren, andererseits sind sie wiederum hyperempfindlich gegenüber genau diesen stillen Signalen. Das macht die Sache doppelt schwer. Laura Kerbey rät darum zu absoluter Ehrlichkeit und Offenheit betreffend den eigenen Gefühlen (vgl. S. 49). Wir müssen uns also bewusst sein, was wir mit unserem Stimmklang, unserer Körpersprache und Mimik für Signale senden. Mein jüngerer Sohn fordert in letzter Zeit oftmals, dass wir ihn nicht anschauen dürfen. Ich bin ein wenig unsicher, ob er dann auf Teenager macht oder sich tatsächlich dieser Art Kontrolle entledigen will.

 

8. Was ist wichtig und was nicht? Prioritäten setzen

Eliza Fricker nennt dieses Priorisieren: “Pick your battles.“ Das ist gar nicht so einfach, weil auch wir Eltern einen gesellschaftlichen Druck spüren, der definiert, was gute Eltern sind. Es braucht also etwas Mut, sich davon zu lösen, um genau dadurch erst ein richtig gutes Elternteil zu werden. Der Druck der Gesellschaft und die Bedürfnisse unserer autistischen Kinder mit PDA-Profil, die beissen sich oftmals.

 

“Remember that saying, `Pick your battles`? What is important? If they are safe, not a danger to themselves or others, then what do they need to do? What does it matter if they don`t do something? It is tough to do this; as parents, `what will people think` is inbuilt in us but if your home is happier, calmer and safer, who cares?” Eliza Fricker (S. 121)

 

Wenn wir ehrlich zu uns sind, so halten wir es aus, dass andere unsere Familien als schräg empfinden, weil unsere Kinder zu viel Bildschirmzeit bekommen, manchmal in ihrem Zimmer essen, wir nach einem anstrengenden Tag nicht darauf reagieren, wenn wir mit “dumme Kuh” betitelt werden etc. Ein wunderschönes Beispiel von Eliza Fricker finde ich, dass ihr Kind nur dieses eine Paar Socken anziehen wollte, das gerade im Wäschekorb weilte. Sie holte also das dreckige Paar wieder hervor und liess ihr Kind diese nochmals tragen. Ist es wichtiger, dass die Socken sauber sind oder dass das Kind in keine Panik verfällt? Manchmal ist der Plan B einfach besser als das durchzuziehen, das wir eigentlich vorhatten. 

 

9. PDA Kinder zeigen Zuwendung anders 

Eliza Fricker erzählt, dass sie nie einen Kuss, eine Umarmung oder ein “ich han dich gärn” (= ich liebe dich) von ihrer autistischen Tochter mit PDA-Profil bekommen habe. Es dauerte, bis sie realisierte, dass das grosse Geschenk ihrer Tochter doch genau dieses ist, dass sie sie in ihr Leben lässt und sie somit eine dieser Auserwählten ist. Das ist Liebe – einfach anders ausgedrückt. Ich würde meinen, dass Auserwählte auch verstehen und das Beste wollen – sie sind vielleicht ruhig, unaufgeregt und sicher in dem Sinne selbstbewusst, dass sie intuitiv grossen Respekt vor dieser Angst vor Kontrollverlust haben und dies nicht dauernd als Affront gegen sich selbst empfinden (vgl. Fricker S. 35). 

Mein 3-Jähriger sagte oft: “Hau’s (= hau ab)!” Das bedeutete, dass er Zeit für sich brauchte. Man bedenke, wie anstrengend ein Leben als Kleinkind inmitten vieler gut gemeinter Anforderungen, Regeln und sogar Hilfestellungen ist – und dann noch mitten in der Autonomiephase. Gerade um dieses Alter herum zeigte er relativ klar, wer auserwählt war und wer nicht. Es gab also Menschen, die existierten und solche, die er nicht wahrnahm. Darum muss man dieses “Hau’s” vielleicht auch als Vertrauensbeweis sehen. Man war jemand, mit dem er interagieren wollte und den er in sein Leben liess.

 

“The antidote to anxiety is trust.” Laura Kerbey (S. 31)

 

Selbstverständlich macht es bei autistischen Kindern mit PDA-Profil Sinn, dass wir uns nicht aufdrängen, sondern schauen, was wir gemeinsam haben. Bei meinem Teenager finde ich aktuell die Verbindung durch seine Philosophie – er lebt ohne tierische Produkte und ich koche für ihn vegan. Das passt, denn schliesslich sammle ich Kochbücher. Mein Mann wiederum teilt mit ihm die Begeisterung an der Informatik und allem drum und dran. Dabei ist zu erwähnen, dass mein Sohn mit den Themen kommt, obschon mein Mann viel zu erzählen hätte und manchmal schier “vergitzlet” (vor Ungeduld fast vergeht), weil der Lead nicht bei ihm ist. Nichts desto trotz: das ist Verbindung – das ist Liebe. Und vielleicht bedeutet diese Liebe ja, dass sie ihre Leidenschaften mit uns teilen wollen. Sie animieren uns zu Geometry Dash oder senden uns kritische YouTube-Filmchen für eine darauf folgende Diskussion betreffend Tierwohl. Und ja – mir wurde der Pythagoras erstmals so erklärt, dass ich nicht einfach alles auswendig kann – mit tiefem Verständnis neu… 

 

10. Hierarchien

Als Eltern ist es wichtig zu wissen, dass Kinder mit PDA-Profil Hierarchien überhaupt nicht akzeptieren können. Das hat bestimmt damit zu tun, dass sich hierarchisch höher gestellte Menschen erlauben, Befehle zu erteilen. Das betrifft auch ganz stark die Rolle, die Eltern klassisch haben und die, die Kindern zugeteilt wird. 

 

“This means that often my role as mum is more in the style of a friend to her.” Eliza Fricker (S. 34)

 

Auf derselben Ebene zu sein bedeutet also, dass das autistische Kind mit PDA-Profil nicht das Gefühl bekommen will, dass über seinen Kopf hinweg bestimmt, sondern eben mindestens gemeinsam verhandelt wird. Und wir wissen natürlich gleichzeitig, dass wir eben doch als Eltern die Verantwortung tragen. Es braucht viel Fingerspitzengefühl und Raffinesse, und letzteres nicht im manipulativen Sinne, sondern aus Respekt vor dem Kind. (Ich hoffe, ihr versteht, was ich meine.)

 

Tatsächlich haben mich meine Kinder indirekt auf das Thema Adultismus aufmerksam gemacht, was mir wiederum erlaubt, mich selbst zu reflektieren. Auch wenn Eltern von Gesetzes her andere Rechte und Pflichten haben und diese bitte auch wahrnehmen sollen, heisst es ja nicht, dass man dies unangenehm ausnutzen muss.

Vielleicht sind genau diese Kinder auch einfach einen Schritt weiter als es die Gesellschaft ist, die stark an gegebenen Strukturen hängt. Aber auch hier – langsam entstehen in der Berufswelt sogenannte flache Hierarchien. Ich bin gespannt, ob das klappen wird. Gewisse Familien mit autistischen Kindern mit PDA-Profil beweisen jedenfalls, dass es tatsächlich funktionieren kann, wenn man sich gegenseitig achtet und zudem eine gewisse Flexibilität und Bereitschaft zu wachsen vorhanden ist.

 

11. Eine Wahl lassen

Es gibt einen Mittelweg zwischen klarem  Auftrag und totaler Freiheit. Man kann dem grossen Bedürfnis nach Autonomie nämlich entgegenkommen, indem man eine Wahl lässt. Mein Teenager liebt die Wochenpläne in der Oberstufe, die zulassen, dass man selber entscheidet, womit man starten will. Für mein Mittelstufen Kind wäre dies aber eine Überforderung. Zu offen darf es für meinen jüngeren Sohn nicht sein. 

 

“When giving options it is usually best to stick to a choice of 2 options.” Sally Cat zitiert Riko Ryuki`s Blog (S. 329)

 

Natürlich kann es sein, dass dann eine dritte Option gewählt wird. Aber wenn man auch mit der dritten Option gut leben kann, so empfiehlt Riko Ryuki eindringlich, dann sollte man das einfach zulassen. (Es ist übrigens Riko Ryuki’s persönliches PDA Beispiel mit der Schokomilch.)

 

Mein jüngerer Sohn äussert zu zwei Optionen oftmals: “Beides.” Ich finde das nicht schlimm, denn nun muss nur noch abgemacht werden, was zuerst kommt und was danach. 

 

12. Fünf Finger – das Energielevel einschätzen

Laura Kerbey beschreibt sehr schön, wie wichtig es ist, erst einmal zu erkennen, was in einem vorgeht.

 

“So before we even start to try to teach ‘emotional regulation‘ we have to begin with ‘emotional recognition’ and talking about your own emotions: when you feel them, and what can help you is a good place to begin.” Laura Kerbey (S. 41)

 

Der Alltag mit all diesen Demand-Factories ist für autistische Kinder mit PDA-Profil sehr anstrengend. Das Erkennen der eigenen Gefühle ist also der erste Schritt, um überhaupt die Möglichkeit zu bekommen, nicht ins Extrem zu schlittern. Denn vor der Angst ist schon ganz viel geschehen, das einem nicht gut tut. Die Gefühle schlagen also schon lange vor dem Zusammenbruch immer wieder Alarm. So empfiehlt Amanda Diekman (S. 150) zum Beispiel die Finger dafür zu nutzen – als nonverbale Möglichkeit, um zu zeigen, wie es einem geht. Fünf ausgestreckte Finger bedeuten, dass alles im grünen Bereich liegt – bis hin zu einem. Das heisst: kurz vor dem Meltdown. Dieses einmal eingeführte System betreffend Energielevel können dann auch die Grosseltern, Lehrpersonen etc. übernehmen. Es zeigt, wann der Druck und die Reize minimiert werden müssen. 

 

Aber so einfach ist das scheinbar nicht: Auf X las ich schon von erwachsenen Autist*innen, die immer vom Meltdown überrascht werden. Darum muss dies mit den Fingern als Versuch angesehen werden und nicht als DIE Lösung. Gleichzeitig erwähnt Laura Kerbey, dass der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, auch nicht die eigentliche Ursache des Meltdowns ist (vgl. S. 119). Folglich ist das Zurückverfolgen und Schlüsse daraus ziehen auch wirklich schwierig. Vielleicht gar ein lebenslanger Prozess?

 

Inseln für Eltern

Die grosse Frage, die bleibt, ist immer: “Wie kann es mir gut gehen, ohne dass das Kind etwas verändern muss.“

 

Es sind also wir, die die Verantwortung dafür in die Hand nehmen müssen, um als Eltern autistischer Kinder mit PDA-Profil einen Ausgleich zu finden und letztlich so neue Kräfte zu tanken. Sollte das aber einmal für eine Phase nicht möglich sein, so darf man sich trotzdem nicht zusätzlich Druck machen, weil man genau das nicht erreicht. Erwachsene Menschen können ihre Bedürfnisse auch für einen längeren Zeitraum einmal zurückstellen. Aber es sollte überschaubar bleiben und gewiss kein Dauerzustand werden. 

 

“Being our children’s place of safety and support means they will need a lot of our time, so it is important to make time for ourselves.” Eliza Fricker (S. 136)

 

Meine Strategie war es wohl über Jahre, dass ich Prioritäten setzte: “Menschen zuerst.” Das sieht man unserem zu Hause auch heute noch an. Keller, Luftschutzkeller und Schlupf wurden zu meinen Verbündeten, die viel ertrugen. So bin ich eigentlich dauernd am Entrümpeln und mein Mann meinte mal spasseshalber, als er geschäftlich Hobbies angeben sollte, seines sei Recycling. (Natürlich schreibt man da besser Golf oder “gerade am Flugbrevet“ und erwähnt noch einen Mannschaftssport wie Fussball. Nicht wie bei uns – überleben und bescheidene Inseln suchen.) Ich bewundere, wie übersichtlich und aufgeräumt andere Wohnungen sind. Ich mag das sehr, auch wenn hier immer mindestens eine Prise Chaos mitschwingt. Und trotzdem habe ich gelernt, mich bewusst zu erholen. Sachendenker ist sicher ein Weg dafür, da mich das Lesen und Schreiben und Sammeln von Infos in einen Flow-Zustand versetzt. Für meinen Mann sind es vermutlich Computerspiele und sein Garten. Und abends geniesse ich es, zusammen mit ihm auf dem Sofa zu “King of Queens” oder “Monk” noch ein bisschen zu relaxen. Mir persönlich gefallen Serien, die wir schon tausendmal gesehen haben – eine angenehme Langeweile und dennoch entdecke ich immer Neues. 

 

Alles nicht spektakulär, aber so ist mein Leben stimmig. 

 

Zwei Kritikpunkt rund um PDA

Das Phänomen Pathological Demand Avoidance wirft viele Fragen auf, auch wenn ich diesen Erklärungsansatz als extrem hilfreich empfinde und mir unsere Praxis beweist, dass unser Leben gerade durch die PDA-Life Hacks besser wird. Zwei von mir frei gewählte Kritikpunkte oder Fragestellungen dazu, sollte man sich aber dennoch einmal durch den Kopf gehen lassen – ohne sich dabei verrückt zu machen. (Im Anhang sind einige weitere Kritikpunkte zu finden.)

 

  1. Ist PDA vielleicht einfach Autismus?

Meine Kinder haben natürlich keine PDA-Abklärung hinter sich. Sie sind beide autistisch. Da mich aber einige Life Hacks betreffend PDA extrem unterstützen, bin ich etwas verunsichert, wie ich das deuten soll. Heisst das nun, dass meine Jungs tatsächlich ein PDA-Profil haben? Oder ist das, was als PDA verkauft wird, vielleicht einfach Autismus und PDA erschafft da etwas Separates, das schon seit jeher in der Diagnose Autismus integriert war? Jedes 5. autistische Kind hat PDA-Symptome, lese ich. Was, wenn jedes autistische Kind PDA-Symptome hat, diese aber nur bei explosiven “fight” Reaktionen in vollem Umfang erfasst werden – nicht aber bei z.B. passiv wirkender  “fawn-response”? Es bleibt spannend. 

 

  • Gemeinsame Schnittmenge 

Autismus und dem PDA-Profil gemeinsam sind wohl der Umgang mit den sozioemotionalen Reizen wie z.B. Aufträge gestellt bekommen und dadurch total gestresst werden. Mein Teenager reagiert schon seit eh und je hypersensitiv auf Erwartungen und resorbiert diese Reize schier, was immer viel Konfliktpotenzial mit sich bringt, und zwar bis hin zum Overload. Er fühlt sich von meinen Wünschen unter Druck, darum darf ich gar nicht erst in sein Zimmer rein und mir das Puff beäugen und durch mein Erleben zur Gefahr für ihn werden.

 

  • Strategien beider Ansätze vermischt

Mein jüngerer Sohn wiederum mag unpersonalisierte (PDA) strukturierte (Autismus) Aufträge, die viel Selbständigkeit zulassen (PDA), beiläufig wirken (PDA) und einen durch ihren klaren Ablauf (Autismus) dennoch nicht alleine lassen. Vor allem anfangs Unterstufe reagierte er auf eine Person daneben, die unbedingt was von ihm wollte – wie z.B. die Logopädin oder Heilpädagogin, genau so, indem er dann einfach nichts machte und alle schier zur Verzweiflung brachte, diese Passivität aber unausweichlich durchzog. Ein bisschen so, wie PDA-Kinder mit nicht explosiven Charakter geschildert werden. Nichts desto trotz hat er auch eine PDA-freie rein autistische Seite an sich. Er liebt z.B. verbindliche Pläne und Rituale.

 

So zeigen alleine schon diese beiden Beobachtungen meinerseits auf, dass es, geht man davon aus, dass es wirklich Autismus und PDA geben soll, mindestens Schnittmengen existieren müssen und die spezifischen Ansätze nicht unbedingt Gegensätze sind, die sich ausschliessen. So wird man auf der Suche nach purem Autismus versus purem PDA-Profil vermutlich enttäuscht, aber vielleicht ja nicht immer. Nichts desto trotz kommt bei mir dabei die Frage auf, ob PDA vielleicht nicht doch einfach Autismus ist. Ich habe keine Antwort darauf.

 

2. Warum ist PDA nicht gleich PDA?

Ein weiterer Gedanke ist der, ob PDA vielleicht nicht generell einfach ein Teil der Neurodivergenz ist.

 

“Es wird geschlussfolgert, dass PDA weder eine eigenständige diagnostische Entität noch einen Subtyp des Autismus darstellt, sondern als ein Verhaltensprofil zu begreifen ist, das sich ungünstig auf den Verlauf bei verschiedenen Störungsbildern auswirken kann.” Inge Kamp-Becker, Ulrich Schu und Sanna Stroth

 

Also kann PDA Vieles sein. Somit ist auch die Frage berechtigt, ob man PDA bei ADHS vielleicht ganz anders betrachten muss als z.B. PDA bei Autismus. Und auch hier: Braucht es die Erweiterung PDA in beiden Fällen überhaupt? Oder würde das Bewusstsein für diesen Anteil eines Menschen ohne die Hervorhebung mittels des PDA-Profils sonst untergehen und hat alleine schon dadurch seine Berechtigung? Ich drehe mich im Kreis. Ja, weitere Forschung ist dringend notwendig.

 

Ist das Pathological Demand Avoidance Syndrom nicht dasselbe wie die Oppositionelle Verhaltensstörung (ODD)?

Raelene Dundon findet dazu ganz klar: “Nein!” Natürlich hat beides eine Gemeinsamkeit, und zwar ein oppositionelles Verhalten – aber das war’s dann auch schon.

 

“The main difference between PDA and ODD ist the underlying cause or reason for the behavior. In ODD is it a need to go against authority or rules, whereas for PDA it is an anxiety-driven need to be in control.” Raelene Dundon (S. 26)

 

So haben Individuen mit ODD keine Probleme mit Alltagsroutinen und Aktivitäten, während diejenigen mit PDA oppositionell werden, um ihre Umgebung zu kontrollieren und um so ihre Angst zu reduzieren. Nur dann fühlen sie sich im Alltag sicher. Alltagsroutinen sind für sie also eine grosse Herausforderung (vgl. Raelene Dundon S. 26-27). 

 

Ein paar Symptome sehen reicht also nicht aus für eine korrekte Diagnose. Laut der PDA Society wird das Pathological Demand Avoidance Syndrom manchmal fehldiagnostiziert – eben als Oppositionelle Störung (ODD), aber auch als Verhaltensstörung (CD), Reaktive Bindungsstörung (RAD), Persönlichkeitsstörung oder Entwicklungstrauma. 

 

Ich vermute, dass das nicht nur für das Pathological Demand Avoidance Syndrom gilt – auch Autismus unterliegt derselben Gefahr. Ein*e kompetente*e  Diagnostiker*in ist folglich sehr wichtig, um kein Unheil anzurichten und den Eltern und ihren Kindern gegenüber auch fair zu bleiben.

 

Das Fazit mit dem Löffelei

Nachdem ich hier zu Beginn alle rätselraten liess, wurde mir kurz darauf selbst ein Rätsel gestellt. Ich merkte es eine ganze Weile nicht.

 

Mein jüngerer Sohn will, wenn ich sonntags Löffeleier koche, immer zwei davon. 

 

„Willst du auch Löffeleier? Zwei?”

“Nein. Eines.”

 

15min später: 

“Ich brauche noch ein zweites.”

 

Jedes Kind stellt seinen Eltern wohl seine persönlichen Rätsel. Es dauerte eine Weile, bis ich es überhaupt als Rätsel entlarvte. Denn genau dieses Löffelei Beispiel ist mir nur eine Woche darauf schon wieder passiert und diesmal spürte ich förmlich die Angst vor Kontrollverlust. Oder wie Tomlin Wilding dies so schön formuliert: “Pervasive Drive for Autonomy.” Eigentlich wollte er schon von Anfang an zwei. Aber vor allem wollte er dies selbst bestimmen und nicht bestimmt werden.

 

Vermutlich war das weder das erste noch das letzte Rätsel, das ich nicht auf Anhieb verstanden habe. Zum Glück muss ich nicht perfekt sein. Man kann ja gleichzeitig etwas noch nicht ganz verstehen und trotzdem verständnisvoll (Haltung!) sein. Manchmal braucht man halt eine Wiederholung und steht, wie ich, etwas länger am Herd, bis das Muster offensichtlich wird.

 

Ich bin nach wie vor lernend.

 

 

 

Literaturliste

 

Cat, S. (2018). PDA by PDAers. From Anxiety to Avoidance to Meltdown. London: Jessica Kingsley Publishers.

 

Diekman, A. (2023). Low-Demand Parenting. Dropping Demands, Restoring Calme, and Finding Connections with your Uniquely Wired Child. London: Jessica Kingsley Publishers.

 

Dundon, R. (2021). PDA in the Therapy Room. A Clinician’s Guide to Working with Children with Pathological Demand Avoidance. London: Jessica Kingsley Publishers.

 

Fricker, E. (2022). The Family Experience of PDA. An Illustrated Guide to Pathological Demand Avoidance. London: Jessica Kingsley Publishers.

 

Kerbey, L. (2023). The Educator’s Experience of Pathological Demand Avoidance. London: Jessica Kingsley Publishers.

 

Stuart, L., Grahame, V., Honey, E. & Freeston, M. (2020). Intolerance of uncertainty and anxiety as explanatory frameworks for extreme demand avoidance in children and adolescents. Child & Adolescent Mental Health, 25, 59–67. https://doi.org/10.1111/camh.12336

 

 

PDA Links:

 

Infos der PDA Society 

 

„An die Stelle von Struktur, Routine, festen Grenzen, Lob, Belohnungen/Konsequenzen tritt ein personenzentrierter Ansatz, der auf Verhandlung, Zusammenarbeit und Flexibilität beruht.” PDA Society 

 

(Autistische Kinder mit PDA-Profil haben die Tendenz, nicht auf konventionelle Ansätze der Unterstützung, Erziehung oder des Unterrichtens zu reagieren.)

 

https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&opi=89978449&url=https://www.pdasociety.org.uk/wp-content/uploads/2022/07/What-is-PDA-Booklet_german.pdf&ved=2ahUKEwi0tOfexLqDAxWM_bsIHXOVCJsQFnoECBsQBg&usg=AOvVaw1IaaklAIo-AQsq7n6DnMJE

 

Die PANDA-Strategie ist ein praktischer Ansatz zur Unterstützung von Menschen mit Pathological Demand Avoidance (PDA) im Autismus-Spektrum. Sie basiert auf dem Verständnis der Bedürfnisse und Herausforderungen von PDA-Betroffenen und bietet einen einfachen Leitfaden für den Umgang mit den besonderen Merkmalen dieser neurodivergenten Ausprägung.

https://pda-autismus-verein.org/panda/

 

The overriding feature of this neurotype is an intense and pervasive need for personal freedom and self-determination. This is autonomy. PDAers can only be autonomously motivated, and will seek autonomy at every turn, whilst resisting any breach of autonomy, including, but not limited to demands. The PDAer needs to live their life according to their own rules, their own code and compass, and would really prefer the world changed to fit that. This makes PDAers great activists and revolutionaries, people who lead and inspire others and ultimately pretty awesome people, except when they have to live under other people’s rules, expectations and demands.

http://tomlinwilding.com/changing-the-name-pda/

 

Schau dir „PDA (Pathological Demand Avoidance) or Persistent Drive for Autonomy“ auf YouTube an:

https://youtu.be/Pw9fNf9jShw?si=OI2VBXuJXGoM40Yt

(Dr. Wenn Lawson)

 

Allerdings beginnen immer mehr Personen, die sich mit diesem Profil identifizieren, stattdessen „Pervasive Drive for Autonomy“ (geprägt von Tomlin Wilding) zu verwenden, um das zugrunde liegende Kernbedürfnis besser zu erfassen.

https://neurodivergentinsights.com/blog/low-demand-parenting

 

“Wenn Struktur und Grenzen schaden: Das PDA-Profil in der Autismus-Spektrum-Störung. (…) Es sind Kinder, bei denen die Erfüllung alltäglicher Anforderungen solch einen Druck auslöst, dass Routinen und klare Ablaufpläne sie emotional eher überfordern als unterstützen – autistische Kinder mit einem PDA-Profil.” Sarah Weber

 

“Eines der Kernmerkmale für die Diagnose stellt das zwanghafte Wehren gegen Anforderungen des Alltags dar, wobei nicht die Tätigkeit selbst diese Ablehnung hervorruft, sondern vielmehr die Tatsache, dass ihre Ausführung von einer anderen Person bzw. der Gesellschaft eingefordert wird.” Sarah Weber 

https://www.autismusspektrum.info/post/wenn-struktur-und-grenzen-schaden-das-pda-profil-in-der-autismus-spektrum-st%C3%B6rung

 

“Wenn die Vermeidungsstrategien nicht greifen, können sich die Situationen bis hin zu einem Meltdown, ähnlich einer Panikattacke steigern.” ellasblog

https://ellasblog.de/pathological-demand-avoidance-zwischen-anerkennung-und-skepsis-hinweise-fuer-den-umgang-mit-pda/

 

“Die Vermeidung von Anforderungen wird hervorgerufen durch sehr hohe Angstzustände, die wiederum auf einem wahrgenommenen Verlust von Kontrolle basieren. Strategien, um Anforderungen zu vermeiden, können sehr aufwendig sein und berechnend und verletzend erscheinen. Doch egal wie verletzend die Dinge sind, die euch vielleicht an den Kopf geworfen wurden, so versucht immer zu bedenken, dass diese nicht persönlich gegen euch gehen, meist nicht so gemeint sind, und euer Kind hinterher wahrscheinlich trauriger darüber sein wird als ihr selbst.” Eva aus Weltausbausteinen

https://weltausbausteinen.de/pda-strategieansatze-die-einem-kind-mit-pda-zuhause-helfen-konnten/

 

Auswirkungen:

Es gibt Hinweise darauf, dass sich das Pathological Demand Avoidance Syndrom sich auf verschiedene Weise auf diejenigen auswirken kann, die davon betroffen sind, darunter:

  • Schwierigkeiten beim Einschlafen, Durchschlafen und Aufstehen
  • kurz- und langfristige Auswirkungen von Angstzuständen und damit verbundenen Symptomen
  • Schwierigkeiten bei Selbstpflegeaufgaben wie Körperpflege, Essen und Hausarbeiten
  • unter Panikattacken, starkem emotionalem Stress und/oder Schwierigkeiten bei der Regulierung von Emotionen leiden
  • Schwierigkeiten in Freundschaften oder anderen sozialen Beziehungen
  • Unfähigkeit, eine Ausbildung oder einen Arbeitsplatz zu besuchen, aufgrund von Stress und/oder Burnout, was zum Ausschluss oder zur Kündigung führen kann.

https://www.autism.org.uk/advice-and-guidance/topics/behaviour/demand-avoidance#Why%20does%20demand%20avoidance%20happen?

 

„Verschwinden unter dem Radar“. Kinder mit einem weniger explosiven Charakter erscheinen toleranter und finden Wege, sich in die Lernumgebung einzufügen. Sie spielen dann die Rolle des angepassten Kindes, schalten aber vom aktuellen Lernen ab und bekommen nicht genug mit. Sie sind dann fleissig im „nichts Hinkriegen“. (Auszug aus Buch)

https://www.vshg-asperger-eltern.ch/allgemein/pda-syndrom/

 

Ich glaube, dass bei vielen anderen Autisten die Fawn Response die Standardeinstellung ist. Ich kann mir vorstellen, dass es von einigen Dingen beeinflusst wird, die viele von uns erleben – Mobbing, Missbrauch und andere Entwertungen. Es könnte als eine sicherere Reaktion angesehen werden als Kampf, Flucht oder Einfrieren, aber wenn das zur Standardeinstellung wird, kann es passieren, dass die Leute so enden, als ob sie nicht wüssten, wer sie sind, und dass sie ausgenutzt und schikaniert werden.

https://yennpurkis.home.blog/2019/07/01/too-nice-a-personal-journey-through-the-fawn-response/

 

Auch wird sehr kritisch diskutiert, dass das Konzept der PDA als ein stark vereinfachender Erklärungsansatz eines an sich komplexen Verhaltens dargestellt wird, der viele mögliche Kontextvariablen (z. B. Einfluss von Erziehung, Lernerfahrungen) ausklammert (Green et al., 2018). So wird beispielsweise ein möglicherweise dysfunktionales Interaktionsmuster innerhalb der Familie außer Acht gelassen, bei dem das Kind oppositionelles Verhalten bei Anforderungen zeigt und die Eltern darauf – evtl. aufgrund eigener Psychopathologie – dysfunktional reagieren und das Verhalten des Kindes so verstärken.

https://econtent.hogrefe.com/doi/10.1024/1422-4917/a000927#:~:text=Insgesamt%20wird%20kritisiert%2C%20dass%20die,et%20al.%2C%202021).

 

Stress der Eltern kann sehr gross sein – gerade alleinerziehend:

 

(@MisstheMoon11) hat an 10:30 AM on Fr., Jan. 19, 2024 gepostet:

Ich glaube tatsächlich, dass es echt nicht einfach ist, eine Frau zu sein.

Eine alleinerziehende Frau.

Eine alleinerziehende, berufstätige Frau.

Eine alleinerziehende, berufstätige Frau mit einem autistischen Kind.

(https://x.com/MisstheMoon11/status/1748276741284458842?t=zZfYpvuoVa5-_cBWb3wxcA&s=03)

 

 

Samefood und Safefood:

 

Daniela Schreiter (@Fuchskind) hat an 11:11 PM on Fr., Jan. 12, 2024 gepostet:

Essen ist für uns oft ein ganz besonderes Thema, habt ihr (oder eure Kinder) besonderes Safefood/Samefood? Bei mir ist es seit der Kindheit Joghurt ❤️. #autismus

1/2 https://t.co/RFGRbFR6Hk

(https://x.com/Fuchskind/status/1745931558370918606?t=7G26Ks1MWLjLBkHoPufdCA&s=03)

 

Daniela Schreiter (@Fuchskind) hat an 11:12 PM on Fr., Jan. 12, 2024 gepostet:

2/2 https://t.co/OZTlY1lrqL

(https://x.com/Fuchskind/status/1745931757508034651?t=LHSBvRF26pucvwKuD0GXyg&s=03)

 

Laut Broberg-Moffitt könnte es zu einer Spaltung kommen, wenn man ein Kind zum Essen zwingt, wenn es stark auf Essen reagiert. Während jemand, den sie lieben, ihnen sagt, sie sollen etwas essen, sagen ihnen Körper und Gehirn, dass es eine Gefahr ist. Letztendlich, sagt Broberg-Moffitt, „können sie es physisch nicht tun.“

https://www.scarymommy.com/lifestyle/food-aversion-neurobiological-vs-picky-eating

 

Wer es einfach will…

 

Inke Hummel (@HummelFamilie) hat an 0:21 PM on Fr., Aug. 26, 2022 gepostet:

Wer es einfach will, sollte mit Familie gar nicht erst anfangen.

(https://x.com/HummelFamilie/status/1563109286632636416?t=5DrGwwkZ1E1i7WEMN-W3PA&s=03)

 

 

 

Bildschirmzeit:

 

https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1750946723001228

 

https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2812722

 

Gedanken zu PDA von Richard Woods:

 

“Einige schlagen vor, dass das „PDA-Profil von ASD“ Merkmale gleichzeitig auftretender Schwierigkeiten wie ADHS, Angstzustände, oppositionelles Trotzverhalten und Verhaltensstörungen mit Autismus in Verbindung bringt. Es wurde ein Gedankenexperiment durchgeführt: Was wäre, wenn Befürworter des „PDA-Profils von ASD“ Nicht-Autismus-Merkmale mit Autismus verwechseln würden? Das Gedankenexperiment sagt viele Aspekte der in den letzten Jahren beobachteten Interessenvertretungsbemühungen „PDA Profile of ASD“ voraus. Es erscheint plausibel, vielleicht sogar wahrscheinlich, dass Befürworter des „PDA-Profils von ASD“ Merkmale von Nicht-Autismus-Merkmalen mit Autismus verwechseln. „PDA Profile of ASD“ ist ein Beispiel dafür, warum es wichtig ist, typische ethische Standards bei der Autismus-Befürwortung zu befolgen. Wir müssen der Integrität der Autismus-Bewertungskategorie Vorrang vor dem „PDA-Profil von ASD“ einräumen.” Richard Woods

https://www.researchgate.net/publication/372904480_What_if_PDA_Profile_of_ASD_advocates_are_confusing_non-_autism_features_with_autism

 

https://youtu.be/14_RUH5tmss?si=wbXBAP0i_ug_thf5

 

https://threadreaderapp.com/thread/1698841047038607611.html

 

https://www.researchgate.net/publication/354386742_Pathological_demand_avoidance_PDA_Its_four_schools_of_thought

 

PDA Blog:

 

https://www.pdasociety.org.uk/resources/pda-adults/

 

https://www.stephstwogirls.co.uk/?m=1

 

Feel free to browse at your own pace and please leave feedback if you wish (and if your demand avoidance isn’t too high).

https://dragonriko.wordpress.com/category/the-life-of-a-pdaer/

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert